In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
sagen, dass er wieder Drogen nimmt. Das würde auf seine Art das Problem lösen, nicht wahr? Er könnte Missy vermutlich in die Reha verfrachten lassen, wenn er nur das Wort aussprechen würde. Er weiß, wie es laufen würde. Missy braucht hier alle Geduld auf, und Rebecca ist durchaus zu rigorosem Durchgreifen fähig. Peter könnte – nur indem er in diesem Moment das Richtige sagt – eine Art sinnvolles Attentat herbeiführen: Peter könnte sich den Erwachsenen anschließen und Missy los sein, dem nur zwei Möglichkeiten blieben: sich entweder der Fürsorge seiner Schwestern (Julie würde im nächsten Zug aus Washington sitzen, schwer zu sagen, ob Rose von Kalifornien herfliegen würde) unterwerfen oder davonlaufen und aus eigener Kraft leben oder sterben. Für Kompromisse ist eindeutig kein Platz mehr. Den Mädchen reicht es.
Peter sagt: »Wir haben ihn beide am Hals.«
Und damit weiß er Bescheid. Er möchte, er muss das Unmoralische, Verantwortungslose tun. Er möchte, dass dieser Junge seinen eigenen Untergang heraufbeschwört. Er möchte diese Grausamkeit begehen. Beziehungsweise (die freundlichere, sanftere Version), er möchte nicht noch einmal seine Loyalität zum Reich der Vernünftigen bekräftigen, all den guten Menschen, die Verantwortung übernehmen, die zu den richtigen und notwendigen Partys gehen, die Kunst aus Kanthölzern und Teppichbodenresten verkaufen. Er möchte, wenigstens ein bisschen noch, in dieser anderen, dunkleren Welt leben – in Blakes London, Courbets Paris, lärmenden, ungesunden Orten, wo gutes Benehmen den anständigen, gewöhnlichen Leuten vorbehalten war, die keine genialen Werke hervorbrachten. Peter ist weiß Gott kein Genie und Missy auch nicht, aber vielleicht könnten sie sich zu zweit ein bisschen auf Abwege begeben, vielleicht hat er darauf die ganze Zeit gewartet, und weil das Leben, wie es heißt, voller Überraschungen ist, hat sich das Ersehnte nicht in Gestalt eines großartigen jungen Künstlers eingestellt, sondern in Gestalt einer jungen, männlichen Version von Peters Frau, seiner Frau, als sie, allen Erzählungen zufolge, das begehrteste Mädchen von Richmond war, ein Mädchen, das den Dödel, der ihre Schwester gedemütigt hatte, unterwerfen und sich zu Willen machen konnte. Sie ist wunderbar, aber sie ist nicht mehr dieses Mädchen. Hier, praktisch in Peters ausgestreckter Hand, ist die Jugend, samt Mutwillen, Selbstzerstörung und Todesangst, hier ist Matthew, der mit der Hälfte aller Männer von New York gevögelt hat, hier ist die Rebecca, die es nicht mehr gibt. Hier ist das schreckliche, reinigende Feuer. Peter hat zu lange um die Menschen getrauert, die verschwunden sind, um eine gefährliche Inspiration, die ihm sein Leben nicht bieten will. Deshalb, ja, er wird es tun, ja. Er und Missy werden nicht, können nicht noch einmal die Lippen aufeinanderpressen, aber er will sehen, wohin ihn das bringt, diese furchtbare Faszination, diese Chance (wenn »Chance« das richtige Wort dafür ist), sein Leben auf den Kopf zu stellen.
Rebecca sagt: »Ich möchte dir nur klarmachen, dass ich dankbar bin. Zu so etwas hast du dich nicht verpflichtet, als du mich geheiratet hast.«
»Doch, habe ich. Ich habe mich dazu verpflichtet, als ich dich geheiratet habe. Das ist deine Familie.«
Und wirklich, Peter hat ihre Familie geheiratet, nicht wahr? Das war ein Teil des Reizes, nicht nur Rebecca, sondern auch ihre Vergangenheit, ihre zauberhafte Fitzgeraldsche Geschichte, ihre exzentrischen und eigenartigen Leute.
»Gute Nacht«, sagt sie.
Sie schickt sich an zu schlafen. Ihre Schönheit lässt sich nicht bestreiten, auch nicht die Kraft ihres Wesens. Peter wird mit einem Mal von Neid erfüllt. Sicher hat sie ihre Sorgen, aber sie geht so völlig in sich auf, sie sorgt sich um die echten Fragen und beachtet die theoretischen nicht, sie pflügt durch die Welt. Schau auf ihre blasse, aristokratische Stirn, die entschlossene Miene. Schau auf die leichten Falten, die den Mund wie zwei Klammern umgeben – sie würde über den Gedanken an Kollagen lachen. Sie wird tapfer altern, in einer schwierigen Welt gute Arbeit leisten und die Menschen, die sie liebt, mit unmittelbarer, unerschütterlicher Heftigkeit lieben.
Allem Anschein nach kriegt er also nicht die Quittung für seinen winzigen Verrat beim Essen, die kindischen Scherze über Kunst in Montana. Sie schnuppert (tut sie das?) nach einer Untreue von weit größeren Ausmaßen.
»Gute Nacht«, sagt Peter.
Er
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