In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
aus Kräutershampoo und einem Hauch Zedernholz, unterlegt mit Jungenschweiß, teils stechend, teils chlorig. Ja, er schläft fest und träumt weiß Gott was. Da ist seine dunkle Gestalt unter der Decke.
Peter hat früher schon hier gestanden, als es Beas Zimmer war. Er hat tatsächlich nach Bea geguckt, wenn sie nachts schrie (sie war elf, als sie hierhergezogen sind, keine Erinnerung an sie als Kleinkind in diesem Zimmer), und ihm kommt ein Gedanke – geht es bei der ganzen Sache womöglich um ein verlorenes Kind? Könnte es sein, dass Missy keine Reinkarnation von Rebecca ist, sondern von Bea? Missy, das Kind, mit dem Peter besser zurechtgekommen wäre, Missy, der Anmutige und Sensible – hätte Peter ihn vor der drogenbenebelten Ziellosigkeit retten können, die er darauf zurückführt (vielleicht, wer weiß), dass er zu spät zur Familie Taylor kam, dass er aufwuchs, als seine Eltern aus ihrer jugendlichen Exzentrik bereits herausgewachsen waren und in einen leichten Wahnsinn hineinalterten? Denn Bea, seien wir ehrlich, war ein schwieriges Kind, eigensinnig, aber auf eine seltsame Art und Weise ohne jede Neugier, nicht besonders an der Schule interessiert oder an irgendetwas. Soll Peter nicht Missys platonischer Liebhaber sein, sondern sein verlorener Vater?
Wieso ist er mit Bea eigentlich gescheitert? Warum will er seinen Fall unbedingt einem himmlischen Tribunal vorlegen? Wie verwerflich ist es, dass er seiner Tochter gern einen Teil der Schuld geben würde?
Kinder tun das nicht. Sie teilen keine Schuld. Eltern sind rätselhafte Kriminelle, die blinzelnd auf der Anklagebank sitzen und es mit jedem Wort, das sie von sich geben, nur noch schlimmer machen.
Er schließt die Tür und geht wieder ins Bett.
Dort träumt er weiter. Nur Bruchstücke bleiben zurück, als er zum zweiten Mal aufwacht: Er läuft durch Chelsea, kann sich nicht erinnern, wo die Galerie ist; er wird gesucht, nicht von der Polizei, sondern von jemand Furchterregenderem als die Polizei. Beim zweiten Mal ist er pünktlich – 4:01 Uhr. Rebecca regt sich und murmelt neben ihm. Wacht sie auch auf? Nein. Spürt sie, dass irgendetwas vor sich geht? Wie könnte sie nicht?
Ein Dilemma: Das Einzige, was schlimmer ist als Rebecca, die etwas ahnt, ist Rebecca, die nichts ahnt, Rebecca, die seine Unruhe und sein Elend nicht wahrnimmt. Hat sie sich so an Peters Unruhe und Elend gewöhnt, dass sie es nicht mehr bemerkt? Ist das für Rebecca einfach seine Art geworden?
Eine ungewollte Phantasie: Er und Missy irgendwo in einem Haus, vielleicht in Griechenland (ach, welch bescheidene Vorstellung), wo sie gemeinsam lesen, nur das, kein Sex, Sex könnten sie mit wem auch immer haben, sie wären platonische Liebende, ein falscherVater und sein falscher Sohn, ohne die Verbitterung von Liebenden und die Wut der Familie.
Okay, bleib einen Moment bei dieser Phantasie. Wohin führt sie? Verliebt sich Missy früher oder später in ein Mädchen (oder einen Jungen) und geht weg? Darauf kannst du wetten. Es gibt keinen anderen plausiblen Ausgang.
Die Frage: Wäre es so schlimm, in diesem am Hang gelegenen Haus mit Blick auf Waldung und Wasser verlassen zu werden, alt, aber nicht alt alt, das Leben ruhig und menschenleer, und nichts zu tun zu haben, als einen neuen Schritt ins Unbekannte zu wagen?
Die Antwort: nein. Er wäre jemand, dem etwas Großes, Seltsames und Skandalöses widerfahren ist. Er wäre in der Lage – er wäre dazu gezwungen -, sich selbst zu überraschen.
Eine Abschweifung: Insekten werden nicht von Kerzenflammen angelockt, sie werden vom Licht auf der anderen Seite der Flamme angelockt, sie fliegen in die Flamme und verbrutzeln zu nichts, weil sie so begierig darauf sind, zu dem Licht auf der anderen Seite zu gelangen.
Er steht auf und geht ins Badezimmer, um sich noch eine Tablette zu holen. Das Loft wird weiter vom Schlaf seiner beiden Lieben und dem rastlosen, immer noch lebendigen Geist von Peter bewohnt, der aber genauso gut gestorben sein könnte, ohne es zu wissen, der am Anfang seines Lebens als wandernder Schatten stehen könnte.
Wieder ins Bett also.
Zehn Minuten hartnäckige Schlaflosigkeit, mehr oder weniger, dann der Ebbstrom von Pille Nummer zwei.
Missy ist am nächsten Morgen weg. Da ist nur sein ordentlich gemachtes Bett, seine Kleider und der Rucksack fehlen.
»Der kleine Scheißkerl«, sagt Rebecca.
Sie ist vor Peter aufgewacht, dessen doppelte Dosis ihr Werk vollbracht hat. Als er aufsteht, findet er sie
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