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In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

Titel: In die Nacht hinein: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cunningham
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Vater.«
    Ist es das, was es für Missy so verlockend macht? Ist sein vorgebliches Verlangen auch nur in irgendeiner Weise persönlich?
    Missy nickt. Unmöglich zu sagen, ob er beipflichtet oder sich fügt.
    Was für ein Mann würde hinter dem Mann seiner Schwester her sein?
    Ein verzweifelter Mann.
    Was für ein Mann hätte es so weit kommen lassen? Was für ein Mann hätte den Kuss so lange mitgemacht wie Peter?
    Ein verzweifelter Mann.
    Er und Missy gehen schweigend zum Haus.
    Carole begrüßt sie im Garten mit so einer ausgelassenen, nervösen Begeisterung, dass Peter einen Moment lang denkt, sie müsse sie beobachtet haben. Sie hat sie nicht beobachtet. Es ist ihre Art, sie begrüßt jeden begeistert, ständig.
    »Ich glaube, die behalte ich«, sagt sie.
    »Großartig«, antwortet Peter. Er fügt hinzu: »Du weißt, dass sie vorerst auf Kommission ist, stimmt’s? Wegen der Chens. Groff will vorbeikommen und sie an Ort und Stelle sehen.«
    Carole hört zu, blinzelt und nickt. Sie ist keine Anfängerin – sie weiß, dass der Sammler bei bestimmten Künstlern einer Prüfung unterzogen wird.
    »Ich hoffe, ich bestehe«, sagt sie.
    »Das kann ich dir so gut wie garantieren.«
    Sie dreht sich um und schaut die Vase an. »Sie ist so wunderschön und garstig«, sagt sie.
    Missy ist wieder in den Garten geschlendert, wie ein Kind, das sich nicht zu Gesprächen unter Erwachsenen verpflichtet fühlt. Er zupft einen Lavendelzweig ab, hält ihn an die Nase.
     
    Carole besteht darauf, dass Gus sie in die Stadt zurückfährt, und Peter nimmt dankbar an, nachdem er kurz so getan hat, als wollte er ablehnen. Er, der feige Peter, ist heilfroh, dass er von der Bahnfahrt mit Missy erlöst wird. Worüber sollten sie reden?
    Gus’ Anwesenheit wird ein Schweigen erzwingen, das im Zug zu unangenehm wäre. Danke, Carole und Gus.
    Und so sitzen er und Missy nebeneinander auf dem Rücksitz des BMW und fahren den tröstlich normalen I-95 entlang, umgeben von anderen Leuten in anderen Autos, die größtenteils aller Wahrscheinlichkeit nach niemals ihren Schwager geküsst haben.
    Beneidet sie Peter, oder bemitleidet er sie?
    Eigentlich beides.
    Eine Wut steigt in ihm auf, schnell wie ein Panikanfall, Wut auf seine dickwadige Tochter und seine kameradschaftliche, distanzierte Frau, auf Uta und die verfluchte Carole Potter, auf jeden und alles, auf Gus’ falsches Adlergesicht und seine kleinen, irischen Ohren, auf jeden und alles, außer den verlorenen Jungen, der neben ihm sitzt, der einzige Mensch, auf den er tatsächlich wütend sein sollte , der Junge, der ihn zu einem unmöglichen Kuss verleitet ( hat er ihn verleitet?) und unglaubwürdige Schmeicheleien nachgeschoben hat (etwas anderes war es doch nicht, oder?). Er weiß nicht, inwieweit Missy hinterlistig ist, inwieweit gestört und inwieweit (Gott steh dir bei, Peter Harris) aufrichtig. Denn, na schön, er möchte, dass es wahr ist, und es könnte, es könnte durchaus wahr sein, dass sich Missy nach ihm gesehnt hat, seit Peter ihm Babar vorlas, als er vier war. Peter sieht sich nicht als jemanden, hat es nie getan, nach dem man sich sehnt. Ja, er ist verführerisch, und er sieht ganz passabel aus, aber er ist der Typ, er ist immer der Typ gewesen, der vom Garten zum Balkon aufblickt. Er ist der Diener der Schönheit, er ist nicht selbst die Schönheit, das ist Missys Aufgabe, so wie es einst Rebeccas war.
    Wie es einst Rebeccas war.
    Die Wut legt sich so schnell, wie sie sich angekündigt hat, und an ihrer Stelle steigt Kummer empor, eine Woge aus Kummer, tief aus dem Bauch, als er einen Blick (unauffällig, hofft er) auf Missys ernstes Profil wirft, seine aristokratische Hakennase, die dunklen Haare, die vor seiner blassen Stirn beben.
    Das möchte Peter von der Kunst. Nicht wahr? Diesen Herzschmerz, dieses Sich-selbst-Spüren in der Gegenwart von etwas Hinreißendem und Vergänglichem, etwas (jemand), das durch die Hinfälligkeit des Fleisches scheint, ja, wie Manets Hurengöttin, eine Schönheit ohne Sentimentalität, denn Missy ist (ist er es nicht?) auf seine Weise ein Hurengott, er wäre weniger verlockend, wenn er das gütige, geniale, spirituelle Wesen wäre, das er, wie er sagt, sein möchte.
    Schönheit – die Schönheit, nach der sich Peter sehnt -, ist demnach das: ein menschliches Bündel aus zufälliger Anmut,Verderbnis und Hoffnung. Missy muss Hoffnung haben, er muss, er würde nicht so strahlen, wenn er wirklich verzweifelt wäre, und natürlich ist er jung, wer

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