In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
absurde Vorstellung an, dass ein Venti Skim Latte irgendwie das Falsche ist.
Missy ist unverändert. Wenn überhaupt, dann wird seine blasse, prinzenhafte Schönheit durch diesen gewöhnlichen Ort eher noch betont. Hier ist die komplexe Römernase, die großen braunen Augen wie aus einem Disneyfilm. Hier ist die zobelfarbene Locke, die seine Stirn teilt.
Hier, am Boden neben dem Tisch, steht der Rucksack, den er nach New York mitgebracht hat.
Peter ergreift die Initiative. So viel Würde hat er zumindest.
Er sagt: »Du hast Rebecca zu Tode erschreckt.«
»Ich weiß.Tut mir leid. Ich rede mit ihr.«
»Sollen wir damit anfangen, warum du weg bist?«
»Was denkst du?«
»Ich habe dich gefragt«, sagt Peter.
»Ich kann einfach nicht dort bleiben und weitermachen, als wäre nichts passiert.«
»Moment. Warst du nicht derjenige, der darauf bestanden hat, dass gar nichts passiert ist?«
»Ich habe nur abgeblockt. Herrgott noch mal, Peter, wir waren kurz davor, mit meiner Schwester zu Abend zu essen. Ich konnte dir doch nicht ausgerechnet auf der Türschwelle in die Arme sinken, oder?«
Ein schreckliches, berauschend giftiges Gefühl steigt in Peters Schlund empor. Ein gedämpfter Zorn. Es geschieht also. Dieser Junge, diese neueVersion der jungen Rebecca, diese anmutige und sehnsüchtige Bea, dieses lebendige Kunstwerk, erklärt seine Liebe.
»Nein«, sagt Peter. »Das konntest du nicht.« Bebt seine Stimme? Vermutlich.
Ein kurzes Schweigen. Einen Moment, einen Moment lang wird Peter schwach. Er kann das nicht machen. Rebecca und Bea haben nichts getan, womit sie das verdient haben, und wie wird Rebecca es jemals verwinden? (Bea wird ihren Vater ein Leben lang hassen, was ihr ein Trost sein wird, außerdem hat sie schon jede Menge Übung.) Ein schwindelerregender Kitzel steigt ihm zu Kopf. Er ist im Begriff, eine unsägliche Tat zu begehen. Er wird sich nie wieder für einen guten Menschen halten können.
»Hast du es ihr erzählt?«, fragt Missy.
Was?
»Natürlich nicht.«
»Und du wirst es ihr auch nicht erzählen. Oder?«
»Tja. Darüber sollten wir reden, meinst du nicht?«
»Erzähl’s ihr bitte nicht.«
Und dann, so scheint es, sagt Peter Folgendes:
»Missy, ich habe etwas für dich übrig. Ich denke an dich. Ich träume von dir« – Stimmt nicht, du träumst von Pisse und davon, dass du verfolgt wirst, aber trotzdem. »Ich weiß nicht, ob ich in dich verliebt bin, aber irgendetwas habe ich an dir gefunden, und ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass ich in mein Leben zurückkehren kann.«
Missy nimmt das seltsam teilnahmslos zur Kenntnis. Nur seine Augen verraten etwas. Sie nehmen diesen feuchten Glanz an. Jetzt lässt ihn sein leichtes Schielen zum ersten Mal töricht wirken.
Er sagt: »Ich meine, wegen der Drogen.«
Ach.
Eine furchtbare Erkenntnis dräut, aber sie senkt sich nicht ganz herab. Peters Haut kribbelt. Hitze steigt ihm zu Kopf, und einen Moment lang scheint es, als würde ihm wieder schlecht werden.
Er hört sich sagen: »Du machst dir also Gedanken darüber, dass ich ihr erzählen könnte, dass du wieder Drogen nimmst.«
Missy hat so viel Anstand, nicht zu antworten.
Es ist also Erpressung. Er wurde reingelegt. Nicht mehr und nicht weniger. Du, Peter, hältst wegen der Drogen den Mund, und ich, Missy, sage nichts von dem Kuss.
Jetzt scheint Peter zu sagen: »Hast du das alles erfunden? Das Zeug von wegen …«
Weine nicht, du Arschgeige. Weine nicht in einem Starbucks im Beisein dieses herzlosen Jungen.
»Aber nein«, sagt Missy. »Ich war schon immer in dich verknallt, bei so was würde ich nicht lügen. Aber hey. Du bist der Mann meiner Schwester.«
Ich bin in der Tat der Mann deiner Schwester.Was habe ich bloß gedacht, dass passieren wird?
Er hat gedacht, eine Macht jenseits seiner eigenen Kräfte würde ihn aus seinem Leben hinausreißen und in ein anderes verpflanzen. Er hat das geglaubt.
»Tut mir leid«, sagt Peter. Und was meint er damit? Wer tut ihm leid?
»Das muss dir nicht leidtun.«
»Okay, tut es nicht.Was hast du jetzt vor?«
»Ich glaube, ich gehe nach Kalifornien. Ich habe ein paar Freunde in der Bay Area.«
Du glaubst, du gehst nach Kalifornien. Du hast ein paar Freunde in der Bay Area. Der Bay Area , nicht mal in San Francisco.
»Was willst du dort machen?« Peters Stimme dringt aus einer gewissen Entfernung zu ihm. Er steht hinter sich.
»Einer meiner Freunde macht Computergraphiken, er braucht einen Partner. Ich bin gut mit Computern.«
Du
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