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In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

Titel: In die Nacht hinein: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cunningham
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»Ich nehme das an«, sagt er und tritt in den schmalen Flur hinaus.
    Könnte es sein? Ist es möglich?
    »Hallo.«
    »Hey.«
    Es ist so.
    »Wo bist du?«
    »Bei einem Freund.«
    »Was soll das heißen?«
    »Das heißt, dass ich bei einem Freund untergekommen bin. Sein Name ist Billy, er wohnt in Williamsburg. Ich bin nicht in einer Drogenhöhle.«
    Also wirklich, Missy, warum sollte ich einen Scheiß darauf geben, ob du abstürzt oder nicht?
    Stattdessen sagt Peter: »Dann ist mit dir alles in Ordnung?«
    »Ich weiß nicht, ob ich das so sagen würde. Mir geht es bestens, wenn du weißt, was ich meine. Wie geht’s dir?«
    Ach, danke für die Nachfrage.
    »Mir ist es schon besser gegangen.«
    »Ich möchte dich sehen.«
    »Und.«
    »Wir sollten miteinander reden.«
    »Ja, ich nehme an, das sollten wir. Ist dir klar, wie sehr Rebecca ausgeflippt ist?«
    Ein kurzes, hauchiges Schweigen am anderen Ende.
    »Natürlich«, sagt Missy. »Meinst du, ich will, dass es ihr schlecht geht?«
    »Wenn du irgendeine Nachricht hinterlassen hättest, würde es ihr weit weniger schlecht gehen.«
    »Was hätte ich in der Nachricht sagen sollen?«
    Leck mich, du verzogener Balg.
    »Du hast recht«, sagt Peter, »wir sollten miteinander reden.Willst du in die Galerie kommen?«
    »Wie wär’s, wenn wir uns irgendwo anders treffen?«
    »Hast du irgendetwas im Sinn?«
    »An der Ninth Avenue ist ein Starbucks.«
    Richtig. Starbucks. Dort ist kein nebliges Feld, auf dem sie sich treffen können, oder? Dort ist kein Burgverlies. Starbucks, warum nicht?
    »Okay.Wann?«
    »In einer Dreiviertelstunde?«
    »Bis dann.«
    »Yeah.«
    Er legt auf.
    »War das Victoria?«, ruft Uta aus ihrem Büro.
    »Nee. Es war niemand.«
    Peter geht wieder in sein Büro, wo noch immer der Vincent steht, umgeben von zerrissenen Papierfetzen.
    Es wäre romantisch, nicht wahr, wenn Peter lange und intensiv diese ernst gemeinte Albernheit anstarren würde, aber er kann die Konzentration nicht aufbringen. Falls es eine Metapher sein sollte, so ist es eine lahme. Es ist der Trick eines zweitrangigen Künstlers. Nicht mehr und nicht weniger.
    Peter muss an andere Dinge denken.
    Was hat Missy vor? Was wird sich in zweiundvierzig Minuten in dem gottverdammten Starbucks an der verfluchten Ninth Avenue abspielen? Hat sich Missy irgendwelchen Schmus zurechtgelegt, von wegen er könne das Versteckspielen nicht mehr ertragen? Will er Peter bitten, mit ihm abzuhauen, das Gemetzel kurzerhand hinter sich zu lassen und zu … diesem Haus in Griechenland zu fahren oder einer Wohnung in Berlin? Was wird Peter sagen, wenn Missy das will?
    Ja. Gott helfe ihm, er wird aller Wahrscheinlichkeit nach ja sagen. Ohne auch nur den Hauch einer Illusion, wie es am Ende ausgehen wird. Er ist bereit, auf die geringste Ermunterung hin sein Leben zu zerstören, und niemand, kein einziger Mensch, den er kennt, wird Verständnis dafür haben.
    Peter beantwortet seine E-Mails. Normal, normal. Er versucht, nicht auf die verstreichende Zeit zu achten, aber natürlich ist in der oberen rechten Ecke seines Computerbildschirms eine Uhr. Und dann, als noch zwanzig Minuten bleiben, kommtVictoria. Er hört, wie Uta sie einlässt, geht in die Galerie, um sie zu begrüßen.
    Lächeln. Nur lächeln.
    Victoria ist eine glühende Exzentrikerin, eine große Chinesin mit Bürstenschnitt und einerVorliebe für untertassengroße Ohrringe und riesige, verschlungene Schals.
    »Hey, du Genie«, sagt Peter. »Es sieht wunderbar aus.«
    Sie umarmen sich flüchtig und steif, mehr lässt Victoria nicht zu. Die Lippen berühren kein Fleisch.
    Sie sagt: »Meinst du, ich werde zu berechenbar?«
    Uta, ein echter Profi, sagt: »Du entwickelst noch etwas. Es sind Variationen. Du wirst erkennen, wenn es Zeit für eine größere Veränderung ist.«
    »Du würdest es mir sagen, stimmt’s?«, sagt Victoria zu Peter. Sie hasst Frauen.
    »Das würden wir«, antwortet Peter. »Im Moment machst du genau das Richtige, und übrigens, du bist dabei, groß rauszukommen.Vertrau mir.«
    Victoria zeigt ein leicht optimistisches, skeptisches Lächeln. Unter Peters Künstlern ist sie eine von denen, die sich am wenigsten vormachen. Sie hat etwas von einem kleinen Mädchen an sich, sie ist ernst, aber nervös, hoffnungsvoll wie eine Fünfjährige, die Puppen anzieht, zu einem Tableau arrangiert und den Erwachsenen mit einer Mischung aus Stolz und Betretenheit zeigt, Angst hat, dass sie nicht jedes Mal das überschwängliche (leicht herablassende)

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