In die Nacht hinein: Roman (German Edition)
eine Straße in Philadelphia, weicht einer vom Wind verwehten Plastiktüte aus, und das war’s. Das ist der Film.
Vic hat auf gut ausgeleuchteten Regalen die dazugehörigen Merchandising-Artikel angeordnet, die aus einer Paralleldimension, in der dieser Typ ein Superstar ist, hergebeamt wurden. Die Actionfigur (sie hat in China jemanden, der sie macht), die T-Shirts, die Schlüsselketten, die Lunchboxen. Und, diesmal neu, ein Halloweenkostüm für Kids.
Es ist gut. Es ist ironisch, aber menschlich, die ganze Vorstellung von beliebigem Ruhm, der sich im Warholschen Sinn auf buchstäblich jeden übertragen lässt. Es ist clever. Es hat natürlich ironische und herablassende Elemente, aber im Grunde genommen (das ist besonders klar, wenn man Vic Hwang kennt) ist es eine Hommage. Jeder ist ein Star auf seinem oder ihrem Heimatplaneten. Die eigentlichen Stars, die Leute, nach denen man tatsächlich Actionfiguren und Lunchboxen herstellt, sind nebensächlich – wir wissen jede Menge über Brad Pitt und Angelina Jolie, aber ihre Wirkung verblasst neben einem raschen Sprung, um einer Plastiktüte auszuweichen, während wir auf dem Weg zu einer morgendlichen Konferenz in Philadelphia sind.
Und dennoch gibt es Peter nichts. Nicht jetzt. Nicht heute. Nicht, wenn er … mehr braucht. Mehr als diese gut umgesetzte Idee. Mehr als den Hai in dem Tank, der Angst einflößen soll, mehr als den Typ auf der Straße, der etwas Prägnantes über Prominenz aussagen soll. Mehr als das.
Vermutlich wäre es am besten, wenn er in sein Büro geht und E-Mails verschickt. Ein paar Anrufe macht.
Wo bist du, Missy?
Achtzehn neue E-Mails, alle von Leuten, die glauben, ihr Anliegen sei dringend. Das einzig Notwendige: Ruf Groff wegen gestern an.
»Hey, Groff hier, Sie wissen, was Sie machen müssen.«
Er ist auch einer von diesen Leuten, die nie ans Telefon gehen.
»Hey, Rupert, Peter Harris. Carole Potter liebt das Stück, und soweit ich das beurteilen kann, hat sie’s gekauft. Rufen Sie mich an und lassen Sie uns einen Zeitpunkt ausmachen, an dem ich Sie hinbringen kann.«
Und dann, okay, hinterlass eine Nachricht für Victoria.
»Hey, Vic, Peter Harris. Die Arbeiten sehen wunderbar aus. Du kommst gegen Mittag vorbei und hängst den Rest, richtig? Kann es kaum abwarten, dich zu sehen. Glückwünsche. Es ist eine wunderschöne Ausstellung.«
Er kann die E-Mails nicht beantworten. Er kann niemand anders anrufen.
An einer Wand in seinem Büro lehnt – der ruinierte Vincent. Der Schlitz klafft etwas, so dass ein Streifen der beschmierten Leinwand zu sehen ist. Peter geht zu dem Bild und reißt das eingerissene braune Papier vorsichtig, als könne es Schmerz empfinden, weiter auf (es ist kaputt, das lässt sich nicht reparieren, es ist jetzt in den Händen derVersicherung). Das dick eingewachste Papier reißt nur langsam. Das Geräusch, das es dabei von sich gibt, ist nass, leicht fleischig.
Was er entdeckt, ist ein gewöhnliches Gemälde. Philip-Guston-Farben, eine Rakel- und Abklatschtechnik, die unmittelbar von Gerhard Richter geklaut worden ist. Nachgemacht und unbeholfen.
Peter geht in Utas Büro. Sie sitzt stirnrunzelnd am Computer, hat eine Tasse schwarzen Kaffee neben ihrer rechten Hand.
Sie sagt: »Wie gefallen dir die Hwangs bisher?«
»Sie sind hübsch. Darf ich dir sagen, was ich gerade gemacht habe?«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Ich habe das Papier von dem verhunztenVincent abgepellt.«
Sie schaut ihn finster an. »Das hättest du nicht tun sollen.«
»Es ist ohnehin zerstört. Es ist ja nicht so, dass er es reparieren wollte.«
»Damit lässt es sich den Versicherungsleuten schwerer erklären, du weißt ja, wie sie sind. Willst du mir sagen, warum du das getan hast?«
»Aus Neugier.«
»Und was hast du gefunden, Mister Neugier?«
»Nur ein beschissenes Studentenbild.«
»Du machst Witze.«
»Nee.«
»Tja. Der kleine Scheißkerl.«
Sind Uta und Rebecca im Grunde genommen dieselbe Frau? Ist er doppelt verheiratet?
»Das ändert alles, findest du nicht?«, sagt er.
»Vermutlich.«
»Vermutlich?«
»Sie sind konzeptuell. Wenn man glaubt, dass etwas Wunderbares darunter ist, es aber niemals sehen kann …«
»Wie Schrödingers Katze.«
»Besser hätte ich es nicht ausdrücken können.«
»Ich glaube, wir vertreten ihn nicht mehr.«
»Wir können ihn nicht mehr vertreten«, sagt Uta, »weil sich die Arbeiten nicht verkaufen.«
Peters Handy gibt das Intermezzo von Brahms von sich.
Unbekannter Anrufer.
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