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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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da schon groß antworten können? Natürlich, er hätte die Rangers darüber aufklären können, daß er sich den Gesetzen einer höheren Ordnung verpflichtet fühlte - daß ihm, als spätem Anhänger von Henry David Thoreau, der Essay »Über die Pflicht zum zivilen Ungehorsam« zur Bibel geworden sei und er es folglich als moralisches Gebot erachte, sich über Staatsgesetze hinwegzusetzen. Es war jedoch unwahrscheinlich, daß er damit bei Angestellten der Bundesregierung auf Verständnis stoßen würde. Er würde Unmengen von Formularen ausfüllen müssen und sich Strafgebühren einhandeln. Zweifellos würde man sich mit seinen Eltern in Verbindung setzen. Aber es gab eine Möglichkeit, sich diesen ganzen Ärger zu sparen: den Datsun stehenlassen und die Odyssee zu Fuß fortsetzen. Und genau dies tat er schließlich.
    Anstatt sich von dieser kleinen Katastrophe entmutigen zu lassen, war McCandless glücklicher denn je: Für ihn war die Überschwemmung eine willkommene Gelegenheit, unnötigen Ballast abzuwerfen. Er breitete eine braune Persenning über den Wagen aus, um ihn so gut wie möglich zu tarnen, montierte die Nummernschilder aus Virginia ab und versteckte sie. Dann vergrub er das schwere, rotwildtaugliche Winchestergewehr und noch ein paar andere Sachen, die er vielleicht eines Tages noch einmal gebrauchen könnte. Schließlich legte er mit einer Geste, die sowohl Thoreau als auch Tolstoi zur Ehre gereicht hätte, sein gesamtes Papiergeld fein säuberlich in den Sand - ein erbärmliches, kleines Häuflein aus Ein - , Fünf und Zwanzig - Dollar - Scheinen - und zündete es an. Einhundertdreiundzwanzig Dollar wurden in Sekundenschnelle zu grauer Asche.
    Wir wissen all dies, weil McCandless ein kleines Album mit Fotos und tagebuchartigen Notizen angelegt hatte, in dem die Geldverbrennung und auch die meisten der noch folgenden Geschehnisse erwähnt werden. Später, kurz bevor er nach Alaska aufbrach, gab er dieses Album in die Obhut Wayne Westerbergs. Der Tonfall des Tagebuchs - es ist in der dritten Person geschrieben und klingt häufig gespreizt und unbeholfen - driftet zwar oft ins Melodramatische ab, dennoch können wir aufgrund nachprüfbarer Fakten davon ausgehen, daß McCandless sich in seiner Darstellung stets an die Tatsachen hielt. Ehrlichkeit war eine Tugend, an der ihm sehr viel lag.
    Nachdem er das wenige, was ihm von seinen Sachen noch geblieben war, in einen Rucksack gestopft hatte, brach er am 10. Juli zu einer Wandertour rund um den Lake Mead auf. Dies erwies sich, wie er in seinem Tagebuch einräumt, als »großer Fehler... Mitte Juli treibt einen die Hitze schier zum Wahnsinn.« Er erlitt einen Hitzschlag und schaffte es gerade noch, ein paar vorbeitreibende Bootsfahrer heranzuwinken, die ihn bis Calville Bay mitnahmen, einem Yachthafen am Westufer des Sees. Dort stellte er sich an die Straße und fuhr per Anhalter weiter.
    In den folgenden zwei Monaten trampte McCandless im Westen umher, hingerissen von der Weite und Monumentalität der Landschaft. Die kleineren Zusammenstöße mit der Polizei, die es immer wieder mal gab, bereiteten ihm zusätzliches Vergnügen, ebenso wie die vielen Bekanntschaften mit anderen Tramps und Abenteurern, mit denen er sich ab und zu zusammentat. Er ließ sich vom Zufall treiben, trampte zum Lake Tahoe, brach zu Fuß in die Sierra Nevada auf und wanderte eine Woche lang auf dem Pacific Crest Trail Richtung Norden. Dann verließ er die Berge und stellte sich von neuem an die Straße.
    Ende Juli stieg er zu einem Mann in den Wagen, der sich Crazy Ernie nannte und ihm auf einer Ranch im Norden Kaliforniens einen Job anbot. Fotos zeigen eine ungestrichene Bretterbude inmitten von Ziegen, Hühnern und riesigen Abfallbergen. Überall steht ausrangiertes Gerät herum: Bettroste, defekte Fernseher und Einkaufswagen. Nachdem er dort zusammen mit sechs anderen Vagabunden elf Tage lang gearbeitet hatte, dämmerte ihm, daß Ernie nicht im entferntesten daran dachte, ihn zu bezahlen. McCandless riß sich daraufhin ein Zehn - Gang - Fahrrad unter den Nagel, das er zwischen dem Gerumpel im Hof entdeckt hatte. Er fuhr damit nach Chico und ließ es dort auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums zurück. Dann nahm er wieder sein rastloses Wanderleben auf, trampte mal nach Norden, mal nach Westen und passierte Städte wie Red Bluff, Weaverville und Willow Creek.
    In Arcata, Kalifornien, inmitten der triefenden Redwood - Wälder der Pazifik - Küste, bog McCandless auf den U.S.

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