In die Wildnis
Essen organisieren mußte. Ohne Geld wäre ich hier allerdings ganz schön aufgeschmissen, weil es um diese Jahreszeit an Obst und Getreide kaum was zu ernten gibt.
Bitte richte Kevin meinen Dank aus für die vielen Kleider, die er mir geschenkt hat. Ohne sie hätte ich mir ganz schön einen abgefroren. Ich hoffe, daß er Dir irgendwie das Buch übermitteln konnte. Wayne, Du solltest »Krieg und Frieden« unbedingt lesen. Es war nicht nur so dahergesagt, als ich meinte, daß Du einer der edelmütigsten Menschen bist, die mir je begegnet sind. Es ist ein wirklich mitreißendes und sehr symbolisches Buch. Es handelt von Dingen, von denen ich glaube, daß Du sie verstehst. Dinge, die den meisten Menschen gar nicht auffallen. Was mich betrifft, habe ich beschlossen, dieses Leben noch eine ganze Weile so fortzusetzen. Die Freiheit und die schlichte Schönheit daran sind einfach zu verlockend. Eines Tages werden wir uns wiedersehen, Wayne, und ich werde mich, so gut es geht, für die Freundlichkeit, mit der Du mich aufgenommen hast, revanchieren. Ich denke da vielleicht an eine Kiste Jack Daniels. Na, wie wär's? Bis dahin bleibst Du für mich immer ein echter Freund. Gott segne Dich, Alexander Am 2. Dezember erreichte er den Morelos - Staudamm an der mexikanischen Grenze. Er hatte keine Papiere, und aus Angst, daß ihm die Einreise verwehrt würde, versuchte er, die Grenze heimlich zu überqueren. Er paddelte durch die offenen Schleusentore und schoß die Überlaufrinne hinab. »Alex sieht sich kurz um, ob er sich auf Ärger gefaßt machen muß«, berichtet sein Tagebuch. »Aber seine Einreise nach Mexiko wurde entweder nicht bemerkt oder einfach ignoriert. Ein Triumph. Alexander ist überglücklich!«
Sein Triumph war jedoch nur von kurzer Dauer. Unterhalb des Staudamms verwandelt sich der Fluß in einen Irrgarten aus Bewässerungskanälen, Sümpfen und Sackkanälen, in dem er ständig die Orientierung verlor.
Überall biegen Kanäle ab. Alex ist verwirrt. Trifft auf ein paar Angestellte der Kanalwerke, die etwas Englisch sprechen. Sie weisen ihn darauf hin, daß er sich nicht nach Süden, sondern immer weiter westlich bewegt und auf die Niederkalifornische Halbinsel zusteuert. Alex ist am Boden zerstört. Er fleht sie an, besteht darauf, daß es doch irgendeine Wasserroute geben muß, die in den Golf von Kalifornien mündet. Sie starren ihn entgeistert an, halten ihn für verrückt. Aber dann bricht zwischen ihnen eine leidenschaftliche Diskussion aus. Karten werden ausgebreitet, Bleistifte geschwungen. Nach zehn Minuten treten sie vor Alex und zeigen ihm die Route, die allem Anschein nach ins Meer führt. Er ist überglücklich und sein Herz wieder voller Hoffnung. Er paddelt den Kanal zurück und biegt in den Canal de Independencia ein. Der Karte zufolge kreuzt dieser den Wellteco-Kanal, der sich nach Süden wendet und ins Meer mündet. Aber schon bald sind seine Hoffnungsträume zerplatzt, da dieser Kanal in einer Sackgasse mitten in der Wüste endet. Nach einer Erkundungsfahrt kommt Alex jedoch zu dem Ergebnis, daß er lediglich im Flußbett des inzwischen toten und versiegten Colorado River gelandet ist. Auf der anderen Seite, etwa eine halbe Meile entfernt, entdeckt er einen weiteren Kanal. Er beschließt, in diesen Kanal überzusetzen.
McCandless benötigt beinahe drei Tage, um Kanu und Ausrüstung an den neuen Kanal zu schaffen. In dem Tagebucheintrag vom 5. Dezember heißt es:
Endlich! Alex hat eine Wasserstraße gefunden, von der er annimmt, daß es der Wellteco-Kanal ist. Er paddelt nach Süden weiter. Der Kanal wird immer enger. Ängste und Befürchtungen kehren zurück... Einheimische helfen ihm, das Kanu um ein Hindernis zu tragen ... Alex erlebt die Mexikaner als warmherzig und hilfsbereit. Viel gastfreundlicher als die Amerikaner...
6.12. Der Kanal wird von zahllosen kleinen, aber tückischen Wasserfällen unterbrochen.
9.12. Alles Hoffen war vergebens! Der Kanal mündet nicht in den Ozean. Unmerklich versickert er in einer weiten Sumpflandschaft. Alex' Verwirrung ist grenzenlos. Er sagt sich aber, daß der Ozean ganz nah sein muß, und beschließt, sich quer durch das Sumpfgebiet zum Meer durchzuschlagen. Alex hat sich nun völlig verirrt. Muß das Kanu durch Schilf und Schlamm vor sich her schieben. Verzweiflung ohne Ende. Findet bei Sonnenuntergang ein trockenes Fleckchen Erde, wo er übernachten kann. Am nächsten Tag, dem 10.12., nimmt Alex wieder die Suche nach einem Durchfluß zum Meer auf,
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