In die Wildnis
Highway 101 und trampte die Küste hoch. Sechzig Meilen südlich der Grenze nach Oregon, in der Nähe von Orick, hielten ein paar Rubber - Tramps in einem alten Kleinbus kurz am Straßenrand, um einen Blick auf die Karte zu werfen. Plötzlich fiel ihr Blick auf einen Jungen, der in den Büschen am Straßenrand kauerte. »Er trug lange Shorts und so 'nen bescheuerten Hut«, erzählt Jan Burres, eine einundvierzigjährige Vagabundin, die damals mit ihrem Freund Bob den Westen bereiste und auf Floh und Tauschmärkten kleineren Schnickschnack verkaufte. »Er hatte ein Pflanzenkundebuch dabei, das er brauchte, um die Beeren zu pflücken. Er hatte sich einen leeren Milchcontainer aufgeschnitten, und dort hat er sie reingetan. Er hat so bemitleidenswert ausgeschaut, also hab ich rübergerufen: ›Hey, kannst mitfahren, willst du irgendwohin? ‹ Ich hab gedacht, vielleicht können wir ihm ja auch was zu essen geben oder so.
Wir haben uns dann ein bißchen unterhalten. Er war ein sympathischer Kerl. Hat gemeint, er heißt Alex. Und hungrig war der vielleicht! Hungrig, hungrig, hungrig. Aber richtig glücklich. Er hat gemeint, daß er die ganze Zeit von eßbaren Pflanzen gelebt hat, die er aus dem Buch hatte. War gar nicht zu überhören, wie stolz er drauf war. Er trampt gerade durchs Land, hat er gemeint, und daß er sich das große, alte Abenteuer reinzieht. Er hat uns erzählt, wie er seinen Wagen stehengelassen und sein Geld verbrannt hat. Ich hab gesagt: ›Aber warum? Was bringt denn so was?‹ Er hat nur gemeint, er braucht kein Geld. Ich hab einen Sohn, der ungefähr genauso alt ist wie Alex war, und vor ein paar Jahren hat's damit angefangen, daß wir uns nicht mehr verstanden haben. Ich hab also zu Bob gesagt: ›Mann, wir müssen den Jungen mitnehmen. Du mußt ihm unbedingt ein bißchen was beibringen.‹ Alex ist dann mit uns nach Orick Beach gefahren, wo wir damals waren. Er war eine Woche bei uns. Der Junge war schwer in Ordnung. Wir haben echt große Stücke auf ihn gehalten. Als er wieder weg war, hätten wir nie gedacht, daß wir noch mal was von ihm hören, aber er hat sich wirklich Mühe gegeben, mit uns in Verbindung zu bleiben. Zwei Jahre lang hat er uns alle ein, zwei Monate eine Postkarte geschickt.«
McCandless setzte seine Reise von Orick aus in Richtung Norden fort. Er trampte die Küste entlang und kam durch Orte wie Pistol River, Coos Bay, Seal Rock, Manzanita, Astoria, durch Hoquiam, Humptulips, Queets und durch Forks, Port Angeles, Port Townsend und Seattle.
»Er war allein«, wie James Joyce über Stephen Dedalus, seinen »Künstler als junger Mann«, schreibt. »Er war allein. Er war unbeobachtet, glücklich und dem wilden Herzen des Lebens nah. Er war allein und jung und mutwillig und wild beherzt, allein inmitten einer Wüste wilder Luft und brackiger Wasser und der Meerlese aus Muscheln und Tang und verschleierten grauen Sonnenlichts ...«
Kurz bevor McCandless am 10. August Jan Burres und Bob traf, kassierte er in der Nähe von Willow Creek in dem Goldschürfgebiet östlich von Eureka einen Strafzettel wegen unerlaubten Trampens. Er wurde kurz auf die Wache genommen, und als der Beamte ihn nach seinem Wohnort fragte, unterlief McCandless ein kleines, für ihn untypisches Mißgeschick: Er gab die Adresse seiner Eltern in Annandale an. Der unbezahlte Strafzettel tauchte Ende August in Walts und Billies Briefkasten auf.
Walt und Billie, die in ständiger Sorge über Chris' klammheimliches Verschwinden lebten, hatten sich inzwischen an die Polizei von Annandale gewandt, die ihnen jedoch auch nicht weiterhelfen konnte. Als dann der Strafzettel aus Kalifornien eintrudelte, läuteten bei ihnen sämtliche Alarmglocken. Einer ihrer Nachbarn war ein General der Armee und Chef der U.S. Defense Intelligence Agency. Walt wandte sich an ihn und bat ihn um Rat. Der General vermittelte ihn an einen Privatdetektiv, Peter Kalitka, der für die DIA und CIA Auftragsarbeiten erledigt hatte. Er sei der Beste, versicherte der General Walt. Wenn jemand Chris finden würde, dann Kalitka.
Kalitka fing mit seinen Nachforschungen bei dem Willow - Creek - Strafzettel an und setzte von dort aus eine minutiöse Vermißtensuche in Gang. Er ging sogar Hinweisen nach, die bis nach Europa und Südafrika führten. Dennoch blieben seine Bemühungen ergebnislos - bis zum Dezember, als er bei einer Durchsicht von Steuerlisten herausfand, daß Chris seinen Studienfonds an OXFAM gespendet hatte.
»Da bekamen wir es richtig
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