In die Wildnis
watet aber im Kreise umher und weiß irgendwann nicht mehr ein noch aus. Am Ende des Tages liegt er völlig entmutigt und frustriert in seinem Kanu und weint. Aber dann hat er unwahrscheinliches Glück und stößt auf mexikanische Entenjagdführer, die Englisch sprechen. Er erzählt ihnen seine Geschichte und von seiner Suche nach dem Meer. Sie sagen, daß es keinen Durchfluß zum Meer gibt. Aber dann willigt einer von ihnen ein, Alex in ihr Basislager abzuschleppen (mit einem kleinen Motorboot) und ihn samt Kanu (hinten auf einem Pick-up) ans Meer zufahren. Es ist ein Wunder.
Die Entenjäger ließen ihn in El Golfo Santa Clara raus, einem Fischerdorf am Golf von Kalifornien. McCandless stieg wieder ins Kanu und paddelte an der Ostseite des Golfs in Richtung Süden. Jetzt, wo er sein Ziel erreicht hatte, ließ McCandless alles etwas langsamer angehen. Seine Stimmung kehrte ins Besinnliche um, und er fotografierte viel. Er machte Bilder von einer Tarantel, den elegischen Sonnenuntergängen, windverwehten Dünen und dem weit ausholenden Bogen der menschenleeren Bucht. Die Tagebucheinträge werden kürzer und flüchtiger. In den folgenden vier Wochen schrieb er weniger als einhundert Wörter.
Am 14. Dezember, als er das Paddeln allmählich satt hatte, holte er das Kanu an Land, erklomm die steile Sandsteinklippe und schlug sein Lager am Rand eines einsamen Plateaus auf. Er harrte dort zehn Tage aus, bis heftige Windstürme ihn zwangen, in einer Höhle auf mittlerer Höhe der Klippe Zuflucht zu suchen. Dort verbrachte er weitere zehn Tage. Das neue Jahr beging er, indem er sich in den Abend hinaussetzte und beobachtete, wie der Vollmond über dem Gran Desierto aufzog - der Großen Wüste: eintausendsiebenhundert Quadratmeilen Wanderdünen, die größte Sandwüste Nordamerikas. Am Tag darauf setzte er sich wieder ins Kanu und paddelte weiter am Ödland der Küste entlang.
Der Tagebucheintrag für den 11. Januar 1991 beginnt mit den Worten: »Ein bedeutender Tag.« McCandless drang weiter nach Süden vor und legte schließlich an einer weit vom Ufer entfernten Sandbank an, um den mächtigen Gezeitenstrom zu beobachten. Nach einer Stunde zogen von der Wüste her heftig brausende Windböen auf. Er geriet in Kabbelwasser und wurde aufs offene Meer hinausgetragen. In kürzester Zeit verwandelte sich das Meer in eine einzige, tosende Gischtwoge. Sein kleines Kanu drohte zu kentern. Der Wind erreichte Orkanstärke, und die Schaumkronen wurden höher und höher, bis sie sich überschlugen. »Mit letzter Verzweiflung«, heißt es im Tagebuch, ... schreit er um sich. Paddel schlägt gegen Kanu. Paddel zerbricht. Alex hat ein Ersatzpaddel. Er sagt sich: jetzt nur die Ruhe bewahren. Wenn zweites Paddel verlorengeht, tot. Schließlich, mit letzter Kraft und unter tausend Verwünschungen, manövriert er Kanu zur Anlegestelle und bricht bei Sonnenuntergang erschöpft im Sand zusammen. Dieser Vorfall hat Alex dazu veranlaßt, Kanu liegenzulassen und in den Norden zurückzukehren.
Am 16. Januar ließ McCandless das kleine, stumpfförmige Boot auf der Kuppe einer grasbewachsenen Düne südöstlich von El Golfo de Santa Clara zurück und wanderte den menschenleeren Strand entlang in Richtung Norden. Seit sechsunddreißig Tagen hatte er keinen Menschen mehr gesehen, geschweige denn ein Wort mit jemandem gewechselt. Er hatte sich von fünf Pfund Reis, Fischen und Meeresfrüchten ernährt - eine Erfahrung, die ihn später in der Überzeugung bestärken würde, er könne in der Wildnis von Alaska mit ähnlich mageren Rationen überleben.
Am 18. Januar erreichte er die Grenze zu den USA. Wieder versuchte er sich heimlich und ohne Ausweis hinüberzustehlen. Diesmal wurde er jedoch vom Grenzschutz erwischt und mußte eine Nacht hinter Gittern verbringen. Er tischte den Grenzern irgendeine Geschichte auf und schaffte es damit tatsächlich, sich aus dem Knast herauszureden. Seinen .38 Colt büßte er allerdings ein, einen »wunderschönen Colt Python, an dem er sehr hing«.
Während der nachfolgenden sechs Wochen bereiste McCandless den Südwesten, er tourte von der pazifischen Küste bis nach Houston, Texas. Er gewöhnte sich an, das wenige, das er an Geld besaß, irgendwo außerhalb der Stadt zu vergraben, um nicht von Banden oder zwielichtigen Gestalten ausgeraubt zu werden, die die Straßen und auch die Freeway - Unterführungen, unter denen er schlief, beherrschen. Wenn er die Stadt wieder verließ, grub er es wieder aus. Am 3. Februar,
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