In die Wildnis
hatte er immer irgendwelche Ausreden parat und lehnte dankend ab. Tatsächlich zeltete McCandless während der ersten Wochen am Stadtrand in der Wüste. Dann nistete er sich in einem leerstehenden Wohnwagen ein. Letzteres hatte sich, wie er in einem Brief an Jan Burres schrieb, »folgendermaßen ergeben«:
Eines Morgens rasierte ich mich auf einer Toilette. Ein alter Mann kam herein. Er schaute mir zu und fragte mich, ob ich »draußen schlafe.« Ich sage ja, und wie sich herausstellt, hat er diesen alten Wohnwagen, wo ich umsonst bleiben kann. Einziges Problem ist, daß er ihm nicht wirklich gehört. Irgendwelche Besitzer, die nie da sind, lassen ihn in einem anderen, kleineren Wohnwagen auf ihrem Grundstück hier wohnen. Ich muß also ein bißchen aufpassen und mich möglichst unsichtbar machen, weil er eigentlich niemanden dahaben darf. Trotzdem ist die Sache ein echter Glücksfall, denn innen drin ist es richtig nett. Der Wohnwagen ist ein Hauscaravan, vollmöbliert und mit schön viel Platz. Sogar die Steckdosen funktionieren teilweise. Der einzige Nachteil ist dieser Alte, Charlie ist sein Name, der ein bißchen spinnt und einem manchmal ganz schön auf den Wecker geht.
Charlie ist immer noch unter der gleichen Adresse anzutreffen, in einem rostzerfressenen Wohnanhänger ohne Strom und fließendes Wasser. Das kleine, tränenförmige Blechmobil verschwindet förmlich hinter dem großen, blauweißen Hauscaravan, in dem McCandless untergebracht ist. Im Westen ragen kahle Bergzüge starr über die Dächer aneinandergereihter Doppelfertighäuser. Ein himmelblauer Ford Torino steht aufgebockt in einem verlassen vor sich hin wuchernden Garten. Aus dem Motorraum sprießt das Unkraut. Aus einer Oleanderhecke weht der Gestank von menschlichem Urin herüber, scharf wie Ammoniak.
»Chris? Chris?« bellt Charlie und überfliegt seine lückenhaften Gedächtnisdateien. »Ach ja, der. Ja, ja, ich erinner mich, klar.« Charlie trägt ein Sweatshirt und eine khakifarbene Arbeitshose. Er ist ein gebrechlicher nervöser Mann mit wäßrigen Augen und weißlich sprießenden Bartstoppeln am Kinn. Seiner Erinnerung zufolge blieb McCandless etwa einen Monat in dem Trailer.
»Netter Junge, ja, ganz netter Junge«, berichtet Charlie. »Hat es nicht leiden können, wenn zu viele Menschen um ihn rum waren. Eigenwillig. Hat's gut gemeint, aber ich glaub, er hatte 'ne Menge Komplexe - verstehen Sie, was ich meine? Las dauernd Bücher von diesem Alaska - Knaben, Jack London. Hat nie viel geredet. Launisch. Hat so seine Tage gehabt, da durfte nix und niemand ihn stören. Schien 'n Junge zu sein, der irgendwas gesucht hat, irgendwas, nur wußte er bloß nicht, was. Ich war auch mal so, aber dann hab ich gemerkt, was ich die ganze Zeit gesucht hab: Geld! Ha! Heißassa, ach Junge!
Aber, wie gesagt, Alaska - ja, er hat davon geredet, nach Alaska zu gehen. Vielleicht hat er ja gedacht, dort rindet er, was er sucht. Netter Junge, jedenfalls kam er mir so vor. Hat aber manchmal richtig Komplexe gehabt. Richtig schlimm. Als er gegangen is', um Weihnachten rum glaub ich, hat er mir fünfzig Dollar und 'ne Packung Zigaretten gegeben, dafür, daß ich ihn hab bleiben lassen. Ich fand das sehr anständig von dem Jungen.«
Ende November schickte McCandless Jan Burres eine Karte an eine Postfachadresse in Niland, einem kleinen Städtchen in Imperial Valley, Kalifornien. »Diese Karte, die wir in Niland von ihm bekommen haben, war seit langem die erste Nachricht von ihm mit Absenderadresse«, erinnert Burres sich. »Ich hab also sofort zurückgeschrieben und gesagt, daß wir ihn nächstes Wochenende in Bullhead besuchen kommen. War schließlich nicht sehr weit von da, wo wir gerade waren.«
McCandless war begeistert, von Jan zu hören. »Ich bin so froh, daß Ihr beide wohlauf seid«, schrieb er voll Freude in seinem Antwortbrief vom 9. Dezember 1991.
Tausend Dank für die Weihnachtskarte. Ihr glaubt gar nicht, wie gut das tut, zu wissen, daß es jemanden gibt, der um diese Jahreszeit an einen denkt... Ich freue mich riesig, daß Ihr mich besuchen kommt. Ihr seid jederzeit willkommen. Ich kann's gar nicht fassen, daß wir uns nach fast anderthalb Jahren wiedersehen werden.
Er zeichnete eine kleine Karte unter den Brief und beschrieb ihnen genau, wie sie den Weg zu dem Stellplatz des Wohnwagens an der Baseline Road in Bullhead City finden würden.
Jan und ihr Freund Bob begannen also mit den Vorbereitungen für den Besuch. Als Jan jedoch vier Tage
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