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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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ringsum umgeben ist.
    Wie dem auch sei, McCandless blieb zwei Monate - wahrscheinlich der längste Aufenthalt an einem Ort, seit er Atlanta verlassen hatte. Nur in Alaska, in dem Buswrack am Stampede Trail, harrte er länger aus. In einer Karte, die er im Oktober an Westerberg schickte, sagte er über Bullhead: »Die Stadt eignet sich hervorragend als Winterquartier. Könnte sogar sein, daß ich mich hier niederlasse und Schluß mache mit dem Vagabundenleben, und zwar für immer. Mal sehen, wie's im Frühling so ist, weil bei mir dann in der Regel das große Reisefieber ausbricht.«
    Damals arbeitete er an besagtem Highway als Vollzeitkraft bei McDonald's. Er fuhr jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit und drehte am Bratblech Hamburger um. Nach außen hin führte er eine erstaunlich normale Existenz. Er eröffnete sogar ein Sparkonto bei einer Bank.
    Als er sich für den Job bei McDonald's bewarb, stellte er sich eigenartigerweise als Chris McCandless vor, nicht als Alex, und er gab sogar seine richtige Sozialversicherungsnummer an. Es war das erste Mal, daß er seine Tarnexistenz wieder abstreifte. Eigentlich ein für ihn untypisches Verhalten, zumal es seinen Eltern nun möglich gewesen wäre, ihn aufzuspüren - aber seine Unvorsichtigkeit blieb ohne Folgen, da der von Walt und Billie angeheuerte Detektiv nie dahinterkam.
    Zwei Jahre nachdem McCandless über dem Hackfleischgrill in Bullhead geschwitzt hatte, wissen seine McDonald's - Kollegen nicht mehr viel über ihn zu berichten. »Er hatte was gegen Socken, das weiß ich noch«, sagt der stellvertretende Geschäftsführer George Dreeszen, ein fleischiger, redseliger Mann. »Er ist immer ohne Socken rumgelaufen - er konnte Socken nicht ausstehen. Nun gibt es aber bei McDonald's diese Vorschrift, daß Angestellte eine ordentliche Fußbekleidung tragen müssen. Das heißt Schuhe und Socken. Chris hat sich dran gehalten, aber sobald die Schicht um war, zack! - das erste, was er tat, war, die Socken ausziehen. Und ich mein wirklich: das erste. So, als wollte er uns zeigen, daß er nicht unser Eigentum ist, nehm ich mal an. Aber er war 'n netter Junge und ein guter Mitarbeiter. Absolut zuverlässig.«
    Lori Zarza, zweite stellvertretende Geschäftsführerin, hat McCandless ein wenig anders in Erinnerung. »Also ehrlich gesagt, ich hab mich gefragt, wieso die den genommen haben«, sagt sie. »Er hat zwar nix falsch gemacht - er hat hinten gekocht - , aber er hat immer in dem gleichen, lahmen Tempo gearbeitet, selbst zu Stoßzeiten mittags, egal wie oft man dem gesagt hat: halt dich ran, Mann. Die Leute stehen in Zehnerreihen Schlange, und der kapiert trotzdem nicht, warum ich Dampf mach. So, als wäre er auf 'nem anderen Planeten.
    Aber er war zuverlässig, das muß man ihm lassen, is' jeden Tag pünktlich angetreten, deshalb haben die auch nicht gewagt, ihn rauszuschmeißen. Die zahlen hier nur vierfünfundzwanzig die Stunde, und mit den ganzen Casinos da drüben auf der ändern Seite, wo du gleich am ersten Tag sechsfünfundzwanzig kriegst, tja, da isses natürlich schwer, die Leute bei der Stange zu halten.
    Ich glaub, er hat sich nicht ein einziges Mal nach der Arbeit mit den anderen Leuten hier getroffen und ist mit denen ausgegangen oder so. Wenn er was gesagt hat, dann hat er immer was von Bäumen und Natur und so'n komisches Zeug erzählt. Wir haben alle gedacht, bei dem sind ein paar Schrauben locker.
    Daß Chris den Job schließlich geschmissen hat«, gesteht Zarza, »das war wohl wegen mir. Als er bei uns angefangen hat, hat er noch auf der Straße gelebt und ist immer stinkend zur Arbeit gekommen. McDonald's hat aber nun mal gewisse Ansprüche an seine Mitarbeiter, und so zu stinken ist einfach nicht drin. Dann haben die mir schließlich die Aufgabe übertragen, dem klarzumachen, daß er sich öfters mal waschen soll. Ich sag's ihm also, und seitdem sind wir ständig aneinandergeraten. Und dann die anderen Angestellten - die wollten bloß nett sein - , die haben ihn ein paarmal gefragt, ob er Seife oder so was braucht. Da war er stocksauer - das hat man ihm angemerkt. Aber er hat nie was gesagt. Ungefähr drei Wochen später ist er einfach zur Tür raus und hat den Job geschmissen.«
    McCandless hatte versucht, zu verheimlichen, daß er ein Tramp war, der aus dem Rucksack lebte: seinen Kollegen gegenüber behauptete er, er wohne auf der anderen Seite des Flusses, in Laughlin. Wenn sie ihn nach der Arbeit fragten, ob sie ihn ein Stück mitnehmen könnten,

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