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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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so sein Tagebuch, fuhr er nach Los Angeles, »um sich einen Ausweis und einen Job zu besorgen. Da er sich mittlerweile in der Zivilisation extrem unwohl fühlt, stellt er sich so schnell wie möglich wieder an die Straße.«
    Sechs Tage darauf kampierte er mit Thomas und Karin, einem jungen deutschen Paar, das ihn mitgenommen hatte, am Fuße des Grand Canyon. Er schrieb: »Ist dies immer noch der gleiche Alex, der im Juli 1990 loszog? Unterernährung und das Leben auf der Straße haben seinem Körper arg zugesetzt. Über fünfundzwanzig Pfund weniger. Seine seelische Verfassung könnte jedoch nicht besser sein.«
    Am 24. Februar, siebeneinhalb Monate nachdem er den Datsun stehengelassen hatte, kehrte McCandless ins Detrial Wash zurück. Die Parkbehörden hatten das Gefährt längst beschlagnahmt, aber er buddelte seine alten Nummernschilder aus Virginia wieder aus, SJF - 421, und noch ein paar andere Sachen, die er dort vergraben hatte. Er trampte nach Las Vegas und nahm einen Job in einem italienischen Restaurant an. »Am 27.2. vergrub Alexander seinen Rucksack in der Wüste und betrat Las Vegas ohne Geld und Papiere«, heißt es im Tagebuch.
    Mehrere Wochen lang lebte er unter Pennern, Säufern und sonstigen Vagabunden der Straße. Aber auch Vegas sollte nicht zur letzten Station seiner Odyssee werden. Am 10. Mai befiel ihn erneut das Reisefieber, und Alex schmiß seinen Job, grub seinen Rucksack aus und stellte sich wieder an die Straße. Aber merke: sei niemals so dumm, eine Kamera zu vergraben, denn du wirst nachher keine Freude mehr dran haben. Die Geschichte wird also für die Zeit zwischen dem 10. Mai 1991 und 7. Januar 1992 ohne Bebilderung auskommen müssen. Aber was soll's. Das eigentlich Wichtige sind die Erfahrungen, die man macht, die Erinnerungen und die triumphale, überschäumende Freude, die einen durchströmt, wenn man das Leben in vollen Zügen genießt. Gott, das Leben ist so schön! Vielen, vielen Dank.

Bullhead City

    KAPITEL FÜNF
    Bei diesem Leben wurde das urzeitliche, reißende Raubtier in Buck immer stärker. Aber nur ganz im geheimen wuchs es. Die Schlauheit und Verschlagenheit, die er sich hier im Norden erworben hatte, halfen ihm, es im Zaum zu halten.
    JACK LONDON,
»DER RUF DER WILDNIS«
      
    Es lebe das urzeitliche, reißende Raubtier!
Und Captain Ahab ebenfalls!
Alexander Supertramp
Mai 1992
    Wandspruch in dem ausrangierten
Bus am Stampede Trail
      
      
    McCandless fotografierte also nicht mehr, und auch das Tagebuchschreiben sollte er erst ein Jahr später wiederaufnehmen, als er nach Alaska fuhr. Es ist daher kaum etwas darüber bekannt, wohin seine Reisen ihn führten, nachdem er Vegas im Mai 1991 verlassen hatte.
    Aus einem Brief an Jan Burres wissen wir, daß er Juli und August an der Küste Oregons verbrachte, wahrscheinlich in der Nähe von Astoria. Er litt unter ständigem Nebel und Regen, der, wie er schrieb, »oft kaum noch auszuhalten ist«. Im September trampte er den U.S. Highway 101 nach Kalifornien hinunter und machte sich von dort wieder in die Wüste auf. Und Anfang Oktober landete er dann in Bullhead City, Arizona.
    Bullhead City ist ein für das ausgehende zwanzigste Jahrhundert typischer Widerspruch in sich: ein Ort ohne Ortskern, eine Gemeinde ohne Gemeinschaftsleben. Die kleine Ortschaft zieht sich über eine Strecke von acht, neun Meilen am Ufer des Colorado hin und besteht aus willkürlich hingewürfelten, lose miteinander verbundenen Häuser und Einkaufszeilen. Direkt gegenüber am anderen Flußufer ragen die Wolkenkratzerhotel und Spielkasinobauten von Laughlin, Nevada, empor. Das einzige, was Bullhead als Stadt ausweist, ist der Mojave Valley Highway, eine vierspurige Asphaltpiste, die gesäumt ist von Tankstellen und Fast - Food - Ketten, Chiropraktikerpraxen, Video - Verleihen, Autoersatzteilgeschäften und überteuerten Souvenirläden.
    Man würde kaum annehmen, daß Bullhead City eine besondere Anziehungskraft auf einen Thoreau und Tolstoi - Jünger ausüben würde, auf einen Ideologen, der für die bourgeoisen Fallen des Mainstream - Amerika nichts als kalte Verachtung übrig hat. Und dennoch entwickelte McCandless eine starke Zuneigung für Bullhead. Vielleicht war es seine Schwäche für die Ärmsten der Armen, das Lumpenproletariat, das in den Wohnwagenparks der Gemeinde, auf den Campingplätzen und in den Waschsalons überdurchschnittlich stark vertreten war; oder ihm gefiel einfach nur die nackte, kahle Wüstenlandschaft, von der die Stadt

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