In die Wildnis
willst, Ron, dann mußt Du Deine Vorliebe für monotone, gesicherte Verhältnisse ablegen und das Chaos in Dein Leben lassen, auch wenn es Dir am Anfang verrückt erscheinen mag. Aber sobald Du Dich an ein solches Leben einmal gewöhnt hast, wirst Du die volle Bedeutung erkennen, die darin verborgen liegt, und die schier unfaßbare Schönheit. Um es auf den Punkt zu bringen, Ron: Geh fort aus Salton City und fang an zu reisen. Du wirst noch froh darüber sein, das garantiere ich. Ich fürchte jedoch, daß Du meinen Ratschlag ignorieren wirst. Du hältst mich für stur, aber der wahre Dickkopf bist Du. Auf der Rückfahrt hattest Du Gelegenheit, Dir eines der größten Naturwunder der Welt anzusehen, den Grand Canyon, etwas, das jeder Amerikaner mindestens einmal in seinem Leben gesehen haben sollte. Aber aus irgendwelchen für mich nicht nachvollziehbaren Gründen wolltest Du nur so schnell wie möglich nach Hause zurück, geradewegs in die gleiche Situation, die Du Tag für Tag für Tag erlebst. Ich fürchte, daß Du dieser Neigung in Dir auch in Zukunft folgen wirst und daher nie die wundervollen Dinge entdecken wirst, die Gott um uns herum erschaffen hat, um sie uns entdecken zu lassen. Sei nicht so träge und bleib nicht einfach immer am selben Platz. Beweg Dich, reise, werde ein Nomade, erschaffe Dir jeden Tag einen neuen Horizont. Du wirst noch so lange leben, Ron, und es wäre eine Schande, wenn Du die Gelegenheit nicht nutzen würdest, Dein Leben von Grund auf zu ändern, um in ein vollkommen neues Reich der Erfahrungen einzutreten.
Es stimmt nicht, wenn Du glaubst, daß Glück einzig und allein zwischenmenschlichen Beziehungen entspringt. Gott hat es überall um uns herum verteilt. Es steckt in jeder kleinen Erfahrung, die wir machen. Wir müssen einfach den Mut haben, uns von unserem gewohnten Lebensstil abzukehren und uns auf ein unkonventionelles Leben einzulassen.
Vor allem möchte ich Dir sagen, daß Du weder mich noch sonstwen brauchst, um dieses neue, hoffnungsfroh schimmernde Licht in Dein Leben zu bringen. Du mußt nur zur Tür hinausgehen und die Hand danach ausstrecken und schon ist es Dein. Du selbst bist Dein einziger Feind, Du und Deine Sturheit, mit der Du Dich weigerst, Dich auf etwas Neues einzulassen.
Ron, ich hoffe wirklich, daß Du so bald wie möglich aus Salton City fortziehst, auf der Ladefläche Deines Pick-up ein kleines Wohnmobü einrichtest und Dir die großartigen Werke ansiehst, die Gott im amerikanischen Westen vollbracht hat. Du wirst staunen, was es alles zu sehen gibt, und Du wirst Leute kennenlernen, von denen man eine Menge lernen kann. Aber mach es ohne viel Geld, keine Motels, und Dein Essen kochst Du Dir selbst. Je weniger Du ausgibst, desto höher ist der Erlebniswert. Ich hoffe, daß Du ein neuer Mensch bist, wenn ich Dich das nächste Mal sehe, ein Mann mit einem großen Schatz an Erfahrungen und Abenteuern. Jetzt heißt es, nicht lange zu zögern, Entschuldigungen zählen nicht mehr. Geh einfach raus und tu's. Geh einfach raus und tu's. Du wirst noch sehr, sehr froh drüber sein.
Paß auf Dich auf, Ron,
Alex
Bitte schreib mir an folgende Adresse:
Alex McCandless
Madison, SD 57042
Erstaunlicherweise nahm der einundachtzigjährige Mann sich die forschen Ratschläge des vierundzwanzigjährigen Vagabunden zu Herzen. Franz räumte Möbel und den größten Teil seiner Habe in einen Container, kaufte sich einen CMC Duravan und stattete ihn mit Kojen und Campinggerät aus. Dann kündigte er seine Wohnung und zog in die bajada.
Er legte einen Kreis von Steinen um McCandless' alten Lagerplatz gleich hinter den Thermalquellen aus, fuhr den CMC - Bus drauf und pflanzte noch ein paar Feigenkakteen und Bastard - Indigosträucher um, »weil es so landschaftlich schöner wirkt«. Dann harrte er in der Wüste aus, Tag für Tag für Tag, und erwartete die Rückkehr seines jungen Freundes.
Für einen Mann, der auf die Neunzig zugeht und zwei Herzinfarkte überlebt hat, wirkt Ronald Franz (der Name wurde auf seine Bitte von mir geändert) bemerkenswert rüstig. Er hat kräftige Arme und eine breite, gewölbte Brust, seine einsachtzig lange Gestalt hält er kerzengerade. Er hat auffallend große Ohren, und auch seine knorrigen Hände sind überproportional groß. Als ich seinen Lagerplatz in der Wüste betrete und mich vorstelle, trägt er eine alte Jeans und ein blitzsauberes weißes T - Shirt, dazu einen reichverzierten, selbstgemachten Ledergürtel, weiße Socken
Weitere Kostenlose Bücher