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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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und abgewetzte schwarze Mokassins. Sein hohes Alter ist nur an den Falten quer über der Stirn und der stolzen, tief zerfurchten Nase ersichtlich. Ein breites, violettes Venengeflecht zieht sich über sie hinweg wie eine künstlerische Tätowierung. Etwas über ein Jahr nach McCandless' Tod betrachtet er die Welt mit argwöhnischen blauen Augen.
    Um Franz' Mißtrauen zu zerstreuen, überreiche ich ihm eine Auswahl von Fotos meiner Alaska - Reise im letzten Sommer. Ich war damals auf den Spuren von Chris McCandless den Stampede Trail hinuntergewandert. Die zuoberst liegenden Bilder sind Landschaften und zeigen den von Bäumen und Büschen überwucherten Trail, die umliegenden Wälder, die Berge am Horizont und den Sushana River. Franz sieht sie sich schweigend an und nickt gelegentlich, wenn ich den Bildern Erklärungen hinzufüge. Er ist offenbar froh, sie sich ansehen zu dürfen.
    Als er jedoch bei den Fotos vom Bus, in dem der Junge starb, angelangt ist, erstarrt er plötzlich. Ein paar davon sind im Innern des Busses aufgenommen und zeigen McCandless' Sachen. Als ihm schließlich klar wird, was er da sieht, treten ihm Tränen in die Augen. Er drückt mir den Stapel wieder in die Hand, und während ich eine Entschuldigung murmele, entfernt er sich kurz, um sich wieder zu sammeln.
    Franz wohnt nicht mehr auf McCandless' altem Lagerplatz. Nachdem eine Überschwemmung den Pfad dorthin unpassierbar gemacht hatte, ist er zwanzig Meilen weiter gezogen, in Richtung der Borrego Badlands. Dort kampiert er neben einer einsamen Pappelgruppe. Oh - My - God Hot Springs ist ebenfalls verschwunden. Bulldozer haben alles eingeebnet, und die Quellen wurden auf Weisung des Imperial - Valley - Gesundheitsamtes zubetoniert. Den Bezirksbeamten zufolge mußte die Quelle geschlossen werden, da ernsthafte Erkrankungen durch infektiöse Mikroben zu befürchten waren.
    »Kann schon sein, klar«, sagt der Angestellte des einzigen Ladens in Salton City, »aber die meisten hier glauben, daß sie die Quellen plattgemacht haben, weil sie die ganzen Hippies und Penner und das ganze Gesocks angezogen haben. Wurde auch Zeit, wenn Sie mich fragen.«
    Ron Franz hatte über acht Monate nach seinem Abschied von McCandless an seinem Lagerplatz ausgeharrt. Er hatte geduldig Alex' Rückkehr abgewartet, die Straße hinuntergespäht und nach einem jungen Mann mit großem Rucksack Ausschau gehalten. Ende 1992, am zweiten Weihnachtsfeiertag, nahm er auf der Rückfahrt von Salton City, wo er nach seiner Post geschaut hatte, zwei Tramper mit. »Der eine stammte aus Mississippi, glaub ich. Der andere war Indianer«, erinnert sich Franz.
    »Auf dem Weg nach Hot Springs hab ich angefangen, ihnen von meinem Freund Alex zu erzählen und dem Abenteuer, für das er nach Alaska gegangen war.«
    Plötzlich unterbrach ihn der Indianer mit einer Frage:
    »Hieß er zufällig Alex McCandless?«
    »Ja, genau. Dann habt ihr ihn also getroffen - «
    »Tut mir leid, was ich Ihnen jetzt sagen muß, Mister, aber Ihr Freund ist tot. In der Tundra erfroren. Hab darüber gerade erst in Outside gelesen, einer Zeitschrift.«
    Völlig schockiert hakte Franz nach, stellte dem Tramper alle möglichen Fragen. Die Details stimmten, alles paßte zusammen. Irgend etwas war fürchterlich schiefgelaufen. McCandless würde nie zurückkehren.
    »Als Alex nach Alaska aufbrach«, erinnert sich Franz, »habe ich gebetet. Ich habe zu Gott gesagt, hier, dieser Junge, hab immer ein Auge auf ihn. Ich habe ihm gesagt, der Junge ist was ganz Besonderes. Aber er hat Alex sterben lassen. Als ich dann am 26. Dezember erfahren habe, was passiert ist, habe ich mit Gott gebrochen. Ich bin aus der Kirche ausgetreten und Atheist geworden. Ich habe mir einfach gesagt, ich kann nicht an einen Gott glauben, der es zuläßt, daß einem Jungen wie Alex so was Schreckliches zustößt.
    Ich hab die Tramper abgesetzt«, fährt Franz fort, »ich bin umgedreht und zum Laden zurückgefahren und hab mir eine Flasche Whiskey gekauft. Und dann bin ich in die Wüste rausgefahren und hab sie getrunken. Ich war den Alkohol nicht mehr gewohnt, und mir ist schlecht geworden. Hab gehofft, daß es mich umbringt, hat's aber nicht. Mir ist einfach nur sehr, sehr schlecht geworden.«

Carthage

    KAPITEL SIEBEN
    Da waren ein paar Bücher... Eins war Pilgrims Progress, über einen Mann, der seine Familie verlassen hat, weshalb, stand nicht drin. Ich hab richtig viel drin gelesen, wenn mir danach war. Was darin so gesagt wurde, war

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