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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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skandalträchtigsten Jahre der Neuzeit in die Geschichte einzugehen...« Chris Morris, der Herausgeber des Blattes, hat McCandless als einen »sehr angespannten Menschen« in Erinnerung.
    Seiner stetig schrumpfenden Schar von Mitstreitern sollte McCandless mit jedem verstreichenden Monat immer angespannter vorkommen. Im Frühling '89 brach Chris gleich nach Vorlesungsende zu einem weiteren, verlängerten Spontantrip in seinem Datsun auf. »Wir haben während des gesamten Sommers nur zwei Postkarten von ihm erhalten«, erzählt Walt. »Auf der ersten stand ›Unterwegs nach Guatemala‹. Als ich das las, dachte ich nur: ›O Gott, er fährt da runter, um sich den Rebellen anzuschließen. Die werden ihn bestimmt an die Wand stellen und abknallen.‹ Dann, gegen Ende des Sommers, traf die zweite Karte ein, und dort stand nur ›Bin in Fairbanks. Reise morgen ab. Wir sehen uns in ein paar Wochen.‹ Er hatte also kurzerhand umdisponiert und war nicht nach Süden, sondern nach Alaska gefahren.«
    Die beschwerliche, staubige Fahrt über den Alaska Highway war Chris' erste Reise in den hohen Norden. Es wurde ein verhältnismäßig kurzer Aufenthalt - er sah sich ein wenig in Fairbanks und Umgebung um, mußte dann aber gleich wieder los, um es noch rechtzeitig zum Beginn des Wintersemesters nach Atlanta zu schaffen - , doch er war überwältigt von der grenzenlosen Weite der Landschaft, der gespenstischen Färbung der Gletscher und dem glasklaren, subarktischen Himmel. Kein Zweifel, eines Tages würde er hierher zurückkommen.
    In seinem Abschlußjahr wohnte Chris außerhalb des Universitätsgeländes in seinem kahlen, spartanischen Zimmer, das er nur mit Milchkästen und einer Matratze ausgestattet hatte. Von seinen Freunden sahen ihn nur wenige auch nach dem Unterricht. Ein Professor gab ihm einen Bibliotheksschlüssel, so daß er auch außerhalb der Öffnungszeiten hineinkonnte. Dort verbrachte er einen Großteil seiner Freizeit. Andy Horowitz, ein enger Freund aus High - School - Zeiten und Mitglied der alten Dauerlaufmannschaft, traf ihn dort zufällig eines Morgens kurz vor der Abschlußprüfung. Obwohl Horowitz und McCandless in Emory im gleichen Jahrgang waren, hatten sie sich seit zwei Jahren nicht gesehen. Sie unterhielten sich kurz, doch ein richtiges Gespräch kam nicht zustande, und nach ein paar Minuten verschwand McCandless in einer Lesenische.
    Chris meldete sich in jenem Jahr nur selten bei seinen Eltern, und da er selbst kein Telefon hatte, war es für sie sehr schwierig, Verbindung mit ihm aufzunehmen. Walt und Billie machten sich über die emotionale Distanz ihres Sohnes immer größere Sorgen. In einem Brief an Chris schrieb Billie beschwörend: »Du hast Dich allen, die Dich lieben und Dich gern haben, radikal entzogen. Was auch immer es ist, mit wem auch immer Du zusammen bist - hältst Du dies für richtig?« Chris sah darin eine Einmischung in seine Angelegenheiten und empfand den Brief als »völlig daneben«, wie er sich Carine gegenüber äußerte.
    »Was soll eigentlich dieses ›mit wem auch immer Du zusammen bist?‹« schimpfte er seiner Schwester gegenüber. »Die spinnt wohl. Weißt du, was ich glaube? Ich wette, sie halten mich für schwul. Todsicher. Wie sind sie nur auf so einen Schwachsinn gekommen? Diese Volltrottel. «
    Als Walt, Billie und Carine im Frühling 1990 Chris' Abschlußfeier beiwohnten, machte er auf sie einen glücklichen, zufriedenen Eindruck. Als er auf die Bühne trat, um sein Zeugnis entgegenzunehmen, strahlte er über das ganze Gesicht. Er sagte ihnen, daß er vorhabe, wieder länger zu verreisen, gab ihnen aber zu verstehen, daß er sie vorher noch in Annandale besuchen würde. Kurze Zeit später spendete er sein gesamtes Bankguthaben der OXFAM, packte den Datsun mit seinen Sachen voll und verschwand aus ihrem Leben. Seit diesem Zeitpunkt vermied er jeden Kontakt mit seinen Eltern oder auch mit Carine, der Schwester, an der er angeblich so hing.
    »Irgendwann hörten wir nichts mehr von ihm und haben uns Sorgen gemacht«, sagt Carine, »und ich glaube, bei meinen Eltern kam auch noch eine gewisse Wut hinzu, und sie fühlten sich gekränkt. Er hat nicht geschrieben, aber ich selbst war deshalb nicht gekränkt.
    Ich wußte, er ist glücklich und tut, was ihm Spaß macht. Ich hab gespürt, daß es wichtig für ihn ist, herauszufinden, wie weit er mit seiner Unabhängigkeit gehen kann. Und ihm war natürlich klar, daß, wenn er mir schreibt oder mich anruft, Mom und Dad

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