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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Krakauer
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daß er eine abgesägte Schrotflinte in seinem linken Hosenbein stecken hat und einen fiesen Stahlhaken im rechten. Er wartet nur auf eine Gelegenheit, um dich mit einem von beiden zu massakrieren. Der Vater ist verblüfft. Wenn sein Sohn sich mit ihm anlegt, sagt er in der Regel: »Ich hab dir mal die Windeln gewechselt, du kleiner Rotzbengel.« Das ist wirklich unfair. Erstens entspricht es nicht der Wahrheit (neun von zehn Windeln werden von Müttern gewechselt), und zweitens erinnert es Sam II sofort an den Grund seiner unbändigen Wut. Er ist so wütend, weil er klein war, als du groß warst, nein, Moment, das ist es nicht, er ist so wütend, weil er hilflos war, als du stark und mächtig warst, nein, Moment, das auch nicht, er ist so wütend, weil er nebensächlich war, als du lebenswichtig warst, nicht ganz, er ist rasend vor Wut, weil er dich einmal geliebt hat und du es nicht einmal bemerkt hast.
    DONALD BARTHELME,
 »THE DEAD FATHER«
      
      
    Wieder unten am Fuße des Devils Thumb angelangt, geriet ich in heftige Schneestürme und saß drei Tage lang in meinem Zelt fest. Die Stunden vergingen quälend langsam. Um die Zeit totzuschlagen, zündete ich eine Zigarette nach der anderen an - solange der Vorrat reichte - und las Bücher. Als mir auch noch der Lesestoff ausgegangen war, war ich dazu verdammt, in die Zeltdecke mit ihrem eingewebten Riffelmuster zu starren. Dies tat ich Stunde um Stunde, flach auf dem Rücken liegend - ich starrte Löcher in die Decke und überlegte hin und her, was ich nun tun sollte: zur Küste aufbrechen, sobald das Wetter es erlaubte, oder bleiben und mich dem Berg ein zweites Mal stellen?
    Soweit war mir mein Nordwand - Abenteuer ganz schön an die Nieren gegangen, das war nicht zu leugnen. Ich verspürte nicht die geringste Lust, mich noch einmal an den Thumb zu wagen. Aber der Gedanke, mich geschlagen zu geben und geknickten Hauptes nach Boulder zurückzukehren, war ebenfalls nicht sehr verlockend. Ich konnte mir schon jetzt die süffisanten Beileidsbekundungen all jener vorstellen, die mein Scheitern vorausgesagt hatten.
    Als es am Nachmittag des dritten Tages immer noch schneite, hielt ich es nicht mehr aus: die Eishöcker, die mir beim Liegen in den Rücken stachen, die feuchten Nylon - Wände, die mir bei jeder Bewegung ins Gesicht fuhren, und der entsetzliche Gestank, der mir aus den Untiefen meines Schlafsacks entgegenwehte. Ich wühlte in dem Durcheinander zu meinen Füßen, bis ich fand, wonach ich suchte: einen kleinen grünen Beutel, in dem sich ein Filmdöschen aus Metall befand. Es enthielt die Zutaten zu dem, das einmal meine Siegeszigarre werden sollte. Ursprünglich hatte ich es bis zu meiner Rückkehr vom Gipfel des Thumb aufbewahren wollen, aber was machte das jetzt noch - es sah nicht danach aus, als würde ich bald dort oben stehen. Ich schüttete den größten Teil des Döscheninhalts in ein Blättchen Zigarettenpapier, rollte es zu einem krummen Joint zusammen und paffte ihn mit ein paar kräftigen Zügen bis auf den Stumpen auf.
    Das Marihuana bewirkte natürlich nur, daß das Zelt noch beengter, erdrückender und unerträglicher erschien. Außerdem wurde ich plötzlich von einem Riesenhunger überwältigt. Ich fand, daß eine Portion Haferbrei jetzt genau das richtige wäre. Sie zuzubereiten, war jedoch eine langwierige, nahezu lächerlich umständliche Angelegenheit: Zuerst mußte man draußen im Sturm einen Topf voll Schnee holen, dann mußte der Brenner zusammengesetzt und angezündet werden. Als nächstes mußten die Haferflocken und der Zucker ausfindig gemacht und außerdem noch die Reste des Abendessens vom Vortag aus meinem Schälchen gekratzt werden. Als der Brenner schließlich brannte und der Schnee vor sich hin schmolz, merkte ich plötzlich, daß es nach Verbranntem roch. Eine gründliche Überprüfung des Brenners und der Stelle, an der ich ihn aufgebaut hatte, verlief ergebnislos. Völlig perplex wollte ich den Gestank schon meiner chemisch angeheizten Vorstellungskraft zuschreiben, als ich es plötzlich hinter mir knistern hörte.
    Ich wirbelte herum und sah gerade noch, wie der Müllbeutel - in den ich das Streichholz für den Brenner geworfen hatte - in Flammen aufging. Ich schlug mit den Händen auf das Feuer ein und hatte es auch innerhalb von ein paar Sekunden gelöscht, allerdings erst, nachdem ein großes Stück der Innenwand des Zeltes sich vor meinen Augen in Rauch aufgelöst hatte. Die zweite, eingenähte Zeltwand entkam

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