In die Wildnis
eines alleinstehenden Eisblocks zu landen. Meinen Bemühungen war schon bald eine gewisse, nicht zu leugnende Dringlichkeit eigen, die von den Geräuschen unter meinen Füßen herrührte. Ein mehrstimmiges Madrigal aus Knirschlauten und anderen versteckten, dissonanten Andeutungen - es klang wie das Bersten eines Tannenasts kurz vor dem Abbrechen - ließ mich nie vergessen, daß es in der Natur eines Gletschers liegt, sich zu bewegen, und Eisbrüche gerne aneinanderkrachen.
Ich brach mit einem Fuß in eine Schneebrücke ein. Die Gletscherspalte darunter klaffte so tief, daß man den Grund nicht sehen konnte. Wenig später brach ich bis zur Hüfte durch eine weitere Schneebrücke. Die Stangen bewahrten mich davor, vierzig Meter in die Tiefe zu fallen. Als ich mich wieder befreit hatte, würgte und krümmte ich mich. Mir war kotzübel. Die Vorstellung, mit zertrümmerten Knochen dort unten auf dem Grund der Gletscherspalte zu liegen und auf den Tod zu warten, ließ mich nicht mehr los. Niemand hätte jemals erfahren, wie oder wo mein Schicksal mich ereilt hätte.
Als ich das obere Ende des Eisbruchhangs erreichte und auf das windgepeitschte Gletscherplateau hinaustrat, war es bereits dunkel. Der Schrecken saß mir noch in allen Gliedern, und ich stellte mich sofort wieder auf meine Skibretter und fuhr weiter, nur um endlich das Rumpeln und Knirschen des Eisbruchs nicht mehr hören zu müssen. Ich schlug das Zelt auf, kroch in meinen Schlafsack und zitterte mich in einen von Angstträumen duchzuckten Schlaf.
Mein Plan sah einen drei bis vierwöchigen Aufenthalt auf dem Gletscherplateau vor. Um nicht den Proviant für vier Wochen den Baird hochschleppen zu müssen - meine Kletter und Campingausrüstung war schwer genug - , hatte ich einem Piloten in Petersburg hundertfünfzig Dollar dafür gezahlt, daß er mir sechs Kartons mit Proviant aus dem Flugzeug abwirft, sobald ich am Fuße des Thumb angelangt wäre. Es war mein letztes Geld. Ich hatte dem Piloten auf seiner Karte genau gezeigt, wo ich ihn erwarten würde, und ihm gesagt, daß er drei Tage rechnen sollte, bis ich die Stelle erreicht hätte. Er versprach, den Abwurf zu erledigen, sobald das Wetter es zuließ.
Am 6. Mai errichtete ich ein Stück nordöstlich des Thumb ein Basislager und wartete auf den Fallschirmabwurf. Während der nächsten vier Tage schneite es, was jede Möglichkeit eines Abwurfs zunichte machte. Ich hatte immer noch eine Heidenangst vor Gletscherspalten und verbrachte deshalb die meiste Zeit liegend im Zelt - zum Sitzen war es zu niedrig - und kämpfte gegen einen ganzen Chor von Zweifeln an.
Mit jedem Tag wurden meine Schrecken größer. Ich hatte weder ein Funkgerät noch irgendeine andere Möglichkeit, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen. Diese Gegend des Gletscherplateaus war seit Jahren nicht mehr betreten worden, und es war davon auszugehen, daß sich dies in nächster Zukunft nicht ändern würde. Ich hatte kaum noch Gas für meinen kleinen Brenner, und an Proviant war mir nur ein Stück Käse, eine japanische Nudelsuppe und eine halbvolle Schachtel Kokosnußgebäck geblieben. Drei, vier Tage, länger konnte ich damit nicht überleben. Und was dann? Zur Thomas Bay zurück waren es nur zwei Tage, auf Skiern, den Baird hinunter. Bevor ich dort jedoch einen Fischkutter Richtung Petersburg aufgetan hätte, konnte locker eine Woche vergehen (die drei Baumpflanzer, mit denen ich gekommen war, hatten ihr Lager fünfzehn Meilen südlich von mir inmitten des zerklüfteten Vorgebirges an der Küste aufgeschlagen. Sie waren praktisch nur mit dem Boot oder per Flugzeug zu erreichen).
Als ich mich am Abend des 10. Mai zum Schlafen legte, herrschte immer noch heftiges Schneetreiben. Ein paar Stunden später hörte ich kurz ein schwaches Surren, kaum lauter als das Summen eines Moskitos. Ich riß die Zeltklappe auf. Die Wolkendecke hatte sich größtenteils aufgelöst, von einem Flugzeug war jedoch nichts zu sehen. Das Surren kehrte zurück, diesmal lauter, anhaltender. Dann sah ich es: hoch oben am westlichen Himmel brummte ein winziger, rot - weißer Fleck auf mich zu.
Ein paar Minuten später flog die Maschine direkt über mich hinweg. Der Pilot kannte sich jedoch in Gletscherflügen nicht aus. Er hatte sich grob verschätzt, was die Ausmaße des Terrains anging. Aus Angst, zu niedrig zu fliegen und in unerwartete Turbulenzen zu geraten, hielt er sich mindestens dreihundert Meter über mir - in dem Glauben, sich knapp über dem Plateau zu
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