In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
wirklich nicht besonders viel! Spontan würde ich von den Namen her auf irische Einwanderer tippen, aber hast du eine Ahnung, wie viele es davon damals hier gab, hm? Dachte ich mir. Massen, Amber, Massen! Rund ein Drittel der Menschen hier in SanFran war irischer Abstammung.« Er sah mich über das iPhone hinweg an und strich sich den Goatee glatt. »Und dir ist hoffentlich auch klar, dass es die Register über Geburten, Hochzeiten und Todesfälle aus der Zeit nicht mehr gibt? Alles nach dem großen Beben von 1906 in Flammen aufgegangen.«
»Ich weiß«, flüsterte ich beklommen; das hatte ich während meiner eigenen laienhaften Recherche auch schon herausgefunden.
»Eine andere Möglichkeit wären Zeitungsarchive«, grübelte Matt halblaut vor sich hin und tippte dabei auf dem Touchscreen herum. »Aber kann gut sein, dass da vieles nur in Papierform oder auf Microfiche vorliegt.« Energisch kaute er auf der Unterlippe herum. »Ich schau mal, was ich tun kann. – Hey, jetzt schau nicht so belämmert! Wenn jemand was rausfindet, dann der gute alte Matt. Du weißt ja: Fuck Google …« Er zwinkerte mir zu.
»… ask Matt , ich weiß.« Mit einem kleinen Lächeln fügte ich hinzu: »Danke.«
»Ach so, ähm«, er deutete mit seinem iPhone auf mich, »dir ist schon klar, dass ich dafür eine gewisse Gegenleistung von dir erwarte?« Fragend runzelte ich die Stirn. »Na ja – ein Kuss wäre ja das Mindeste, oder?«
Ich starrte ihn entsetzt an und zuckte dann zusammen, als Matt schallend zu lachen anfing, dabei auf der Stelle herumhüpfte und mir das Display seines Handys hinhielt. »Schau dir doch bloß mal an, wie du gerade geguckt hast! Whuhuhuuuu! Ich lach mich schlapp!«
»Du Blödmann!«, quiekte ich los. Schon die ersten kribbelnden Vorboten eines Lachens in der Magengegend, grapschte ich mir den Ärmel seines Longsleeves und trat ihn spielerisch vors Schienbein. Lachend lieferten wir uns einen kleinen Ringkampf, der in gegenseitigen Schubsern und Püffen auslief.
»Okay, dann kümmer ich mich jetzt erst mal um die dunkle Vergangenheit deines Schlossgespensts«, feixte Matt. »Falls ich heut noch was rauskrieg, sims ich dir – sonst sehen wir uns morgen.«
Ich sah ihm hinterher, wie er auf die Treppe zutigerte, und fing dabei die Blicke zweier Schülerinnen auf, die betont unauffällig und gleichzeitig bemüht dekorativ vor der Tür zur Mädchentoilette herumstanden: Sharon und Felicia, die ich noch nie auf diesem Korridor gesehen hatte. Ihre für die Jefferson High viel zu engen T-Shirts, die extrem kurzen Röcke, hochhackigen Sandalen und das viele Make-up in ihrem Gesicht hatten sie bestimmt in ihren Schließfächern auf einem anderen Stockwerk gebunkert gehabt und nach der letzten Stunde hervorgeholt, um sich hier auf dem Klo aufzubrezeln. Mit einem schüchternen Lächeln nickte ich ihnen kurz zu, worauf beide demonstrativ wegsahen und miteinander zu tuscheln anfingen. Ich konnte es ihnen nicht mal übel nehmen, schließlich hatte ich ihnen mehrmals deutlich zu verstehen gegeben, dass ich auf ihre Gesellschaft keinen großen Wert legte.
Seufzend drehte ich mich zu meinem Fach, packte meinen Rucksack und sperrte die Tür zu. Ich wollte mich gerade umdrehen, als es in meinem Nacken zu prickeln begann. Ein kaltes Rieseln rann mein Rückgrat hinab und mit hochgezogenen Schultern wandte ich mich langsam um.
Ich entdeckte ihn sofort, wie er neben der Tür zur Jungstoilette an der Wand lehnte und mich mit seinen veilchenblauen Augen fixierte. Eine ganze Weile hatte ich ihn schon nicht mehr hier gesehen, den Jungen mit den stoppelkurzen Haaren und dem Gesicht, das spitz war wie das einer Maus. Es war merkwürdig: Jetzt da ich wusste, dass er ein Geist war und Matt ihn auch sehen konnte, wirkte er auf mich weniger unheimlich als vielmehr bedrohlich. Und auch er schien mich plötzlich anders wahrzunehmen. Während er früher nie eine Miene verzogen hatte, krümmte sich sein Mund jetzt zu einem spöttischen Lächeln und öffnete sich dann zu einem verächtlichen Grinsen, das mir einen Schauder nach dem anderen über die Haut laufen ließ.
»Ich hab keine Angst vor dir«, flüsterte ich, und sein Grinsen wurde breiter. Ich machte einen festen Schritt auf ihn zu und gleich noch einen, als wollte ich ein wildes Tier in die Flucht jagen. »Ich hab keine Angst vor dir, hörst du!«
»Solltest du aber.« Als eisiger Luftzug jagte der Nachhall seiner flachen, blechernen Stimme im Kreis um mich
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