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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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blieb nach ein paar unsicheren Schritten einfach stehen. Mit geschlossenen Augen legte ich den Kopf zurück und spürte, wie die Schneeflocken auf mein Gesicht fielen und auf meiner glühenden Haut schmolzen.
    »Amber!« – »Amber!« – »Amber, komm von der Straße runter!« – » AMBER !«
    Dann erst hörte ich das Heulen eines Motors. Ich öffnete die Augen und wandte den Kopf. Ich starrte in die Scheinwerfer des Autos, das die California Street hinabdonnerte, direkt auf mich zu, aber ich konnte mich nicht bewegen; mein Körper war viel zu schwer, viel zu unbeweglich. Wie gelähmt stand ich einfach nur da und starrte in die beiden grellen Lichter, die auf mich zurasten und größer wurden.
    Hinter mir hörte ich schnelle Laufschritte, spürte einen Luftzug, dann starke Arme, die sich um mich schlossen und mit sich fortrissen. Eine Hupe dröhnte, Bremsen kreischten; jemand schrie. Ein kräftiger, warmer Körper presste mich fest an sich, ein Körper, der nach nasser Erde roch. Mit einem dumpfen Schlag bekam ich einen Stoß versetzt und flog durch die Luft, krachte dann hart irgendwo dagegen. Es polterte; Metall schepperte und Glas splitterte. Einen Augenblick lang war es still. Totenstill.
    Mein Kopf. Mein Kopf tat so weh. Amber! Amber! Jemand rief meinen Namen, jemand anders weinte, dann summten Stimmen um mich herum. An meinem Bein lief es warm herunter, während ich sonst am ganzen Körper zu frieren begann. Mir war kalt, so unglaublich kalt.
    Es war in dieser Sekunde, dass die Erinnerung an das vergangene Jahr durch mich hindurchschoss. An die zwölf Monate, die alles auf den Kopf gestellt hatten, was ich über das Leben und den Tod und die Dinge dazwischen zu wissen glaubte. Das Jahr, das kurz nach meinem sechzehnten Geburtstag im Dezember begonnen hatte.
    Diese eine Sekunde, bevor mein Herz noch einmal kurz aufzuckte und dann aufhörte zu schlagen.

84
    Ich fiel, fiel durch einen weißlichen Nebel ins Bodenlose.
    So hatte ich mir immer einen Fallschirmsprung aus dem Flugzeug vorgestellt, dieses Kreiseln um die eigene Achse, dieses Purzelbaumschlagen im freien Fall, den Wind im Gesicht und in den Haaren. Dieses Gefühl von absoluter Freiheit, während der Magen sich vor Angst zusammenballt.
    Sanft landete ich auf meinen Füßen, auf weichem Boden und in hohem Gras. Ich blinzelte in den Nebel hinein, der hier unten heller und zarter war, und ein Glücksgefühl durchströmte mich, als ich sanfte Wellen hörte, die glucksend ans Ufer schlugen. Ich war wieder zu Hause, an meinem geliebten See. Vor mir konnte ich schemenhaft den fransigen Saum aus Schilf erkennen, die knorrigen Silhouetten der Platanen und die schlanken Formen der Pappeln, und durch den Nebel drang das Schnattern und Pfeifen der Enten und Blesshühner zu mir.
    In einigen Schritten Entfernung entdeckte ich die Umrisse einer Gestalt, die mir den Rücken zukehrte, halb verhüllt von den Nebelfeldern. Ich zögerte, gab mir dann einen Ruck und ging auf sie zu.
    »Hallo?«, rief ich vorsichtig aus. »Hallo?«
    Die Gestalt drehte sich um. Unter dunklen Locken blickten mir tiefgrüne Augen verwirrt entgegen und strahlten dann auf. »Amber?«
    Mir rutschte ein Freudenschrei heraus. »Nathaniel!«, jubelte ich. »Nathaniel!« Ich rannte auf ihn zu und warf mich ihm entgegen; er fing mich auf und drückte mich an sich. Mit aller Kraft klammerte ich mich an ihn, presste mein Gesicht gegen seine Brust und lachte und weinte zugleich. »Nathaniel.«
    Als er sich in meiner Umarmung versteifte, dämmerte eine Ahnung in mir herauf, und beklommen sah ich ihn von unten herauf an. »Du … du hast es nicht geschafft, oder? Auf die andere Seite?«
    Ernst sah er mir in die Augen und streichelte meine Wange. »Das ist die andere Seite. Zumindest«, sein Blick wanderte über mich hinweg in den Nebel hinein, »zumindest der Anfang davon.« Ein zärtlicher Ausdruck schien in seinem Blick auf. »Und du gehörst nicht hierher.«
    Ich starrte vor mich hin. Das Auto, das die California Street hinabraste. Mein Kopf, der so wehtat, und diese unglaubliche Kälte in mir. Und der letzte Schlag meines Herzens. Dann erst begriff ich, dass ich tot sein musste. Genau wie Nathaniel. Genau wie Mam.
    Ich hob den Blick wieder zu ihm an und lächelte. »Doch. Ich gehöre hierher. Ich gehöre zu dir.«
    »Nein, Amber«, widersprach eine tiefe, warme Stimme hinter mir, und ich drehte mich um. »Du gehörst wirklich nicht hierher.«
    Stumm starrte ich Shane an, wie er in Jeans und einem

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