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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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von Ted erwähnte Guthabenkarte für die Cafeteria. Das vollständige Rundum-Sorglos-Paket.
    Michelle brachte mich zuerst zu einem der rot lackierten Schließfächer im zweiten Stock, in dem ich meine Jacke verstaute, und zeigte mir, wie ich meine eigene Zahlenkombination am Schloss einstellen konnte, bevor sie mich durch die Schule führte. Inzwischen hatte die zweite Stunde begonnen und die Korridore waren still und verlassen. Sie hatte mir zwar auch einen ausführlichen Übersichtsplan ausgedruckt, und außerdem war das gesamte Gebäude selbst für jemand wie mich idiotensicher ausgeschildert – aber so hatte ich immerhin schon mal die Bibliothek gesehen und den Computerraum und je einen kurzen Blick in das Sprachlabor und in die Cafeteria geworfen. In die Aufenthaltsräume, die bis abends um neun geöffnet waren, und in die riesige Aula, in der regelmäßig Vorträge und Informationsveranstaltungen stattfanden. Eine kleine Runde drehten wir durch den Laden mit seinem wilden Sortiment aus allem möglichen Schreibzeug, Tampons, Sonnenmilch, Duschgel und Deos, Zeitschriften, Bücher, Schokoriegel und schließlich Basecaps, T-Shirts und Hoodies mit dem Logo der Jefferson High. Und auch das Wellness Center bekam ich gezeigt, das allerdings nicht zum Relaxen da war, wie ich zuerst dachte, sondern vielmehr eine Art Krankenstation darstellte, in der kleine Wehwehchen behandelt wurden und wo ich mich untersuchen und beraten lassen und sogar Kondome umsonst bekommen konnte. Als ob ausgerechnet ich welche brauchen würde – wo Lukas Tausende von Kilometern von mir weg war und unsere Beziehung schon den Bach runterging, bevor ich mir überhaupt Gedanken über so was machen konnte.
    »Sooo, da wären wir!«, rief Michelle vergnügt, als sie mit mir im dritten Stockwerk vor der Tür mit der Nummer 318 haltmachte. »Deine erste Unterrichtsstunde bei uns: Geschichte bei Mrs Jankovich.« Die Stunde hatte bereits begonnen, ich hörte Gemurmel auf der anderen Seite der Tür, an die Michelle kurz klopfte, sie aufriss und mich hineinschob.
    »Guten Moor-gen, Adele«, trällerte sie der Lehrerin entgegen. Mit ihrem wallenden Rock, den Gesundheitsschuhen und der grau gesträhnten Lockenmähne, die über den Rücken ihrer orientalischen Tunika herabrieselte, sah Mrs Jankovich so aus, als ob sie es bis heute bedauerte, den Summer of Love Ende der Sechziger knapp verpasst zu haben. »Guten Moor-gen alle zusammen!«
    »Guten Mor-gen, Miss Lim«, kam es im Chor von den gut zwanzig Schülern im Raum, die einzeln an kleinen Holztischen saßen. Obwohl es bereits nach zehn war, brannten noch die Deckenleuchten, denn draußen vor den Fenstern brach ein trüber, lichtloser Vormittag an.
    »Das ist Amber«, verkündete Michelle und legte mir die Hand auf die Schulter. »Amber ist neu bei uns an der Schule.«
    »Hiiii Aam-beer«, setzte der Chor der Klasse wie auf ein einstudiertes Kommando ein; offenbar brachte Michelle öfters mal neue Schüler vorbei. Ich zwang mich zu einem angestrengten Lächeln, ohne jemand Bestimmtes dabei anzusehen.
    »Amber ist gerade aus Deutschland hierhergezogen«, fuhr Michelle fort. »Und ich möchte, dass ihr besonders nett zu Amber seid, weil sie vor Kurzem erst …« Oh nee, bitte nicht. »… ihre Mutter verloren hat.«
    Die zwanzig Augenpaare, die mich bisher nur mäßig interessiert gemustert hatten, saugten sich plötzlich an mir fest; unter gesenkten Lidern sah ich, wie sich in der zweiten Reihe ein Mädchen mit langen blonden Haaren zu ihrer Nachbarin, einer Asiatin, herüberbeugte und ihr etwas zuflüsterte. Super. Jetzt hatte ich nicht nur Die Neue quer auf meine Stirn geschrieben und das Etikett Made in Germany aufkleben, sondern dazu noch in Neonbuchstaben Achtung! Halbwaise! Bitte Mitleid spenden! auf meiner Streifenbluse stehen.
    »Herzlich willkommen an der Jefferson High, Amber«, begrüßte mich Mrs Jankovich mit einer Stimme, die nach Whiskey und Selbstgedrehten klang, und gab mir die Hand, bevor sie auf den rechten von zwei freien Plätzen im Mittelfeld deutete, unmittelbar unter einem der Fenster. »Bitte setz dich!«
    Dankbar, dass wenigstens sie auf irgendwelche Beileidsworte verzichtet hatte, schlich ich mit gesenktem Kopf zum Fenster hinüber und spürte, wie mir alle Augen im Raum folgten. Typisch. Das ganze Weltall ist voll schwarzer Löcher, die gigantische Sterne einsaugen und verschwinden lassen können. Aber wenn man im Alltag selbst mal eines brauchen könnte, ist natürlich nie eines

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