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In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)

Titel: In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Park vorgeschlagen, einen Bummel durch Chinatown oder eine Fahrt mit einem Cable Car. Oder auf den Coit Tower zu steigen, von dem aus man wohl einen atemberaubenden Rundblick über die gesamte Stadt hatte. Aber ich hatte zu nichts Lust gehabt. Er schien darüber nicht wirklich unglücklich zu sein; während American Football im Fernseher lief, hatte er die CD -Regale in die Wand gedübelt, weitere Möbel zusammengeschraubt und Kisten ausgepackt, wenn er nicht gerade in seinem Arbeitszimmer endlose Telefonate führte. Und ein-, zweimal hatte ich bis spät in die Nacht hinein die Tastatur seines Computers klackern und den Drucker emsig Blätter ausspucken hören. Auch an Silvester hatte ich nicht rausgehen und das Feuerwerk vom Pier aus anschauen wollen. Stattdessen hatte ich mich nach der Pizza, die Ted für uns bestellt hatte, in mein Zimmer verzogen, ein bisschen im Netz gesurft, Mails an Gabi, Julia und Sandra geschrieben und mich lange vor zwölf in mein Bett gelegt. Die Böller und Raketen, die das neue Jahr begrüßten, hatte ich nur im Halbschlaf wahrgenommen. Einmal waren wir in einen riesigen Supermarkt am anderen Ende der Stadt gefahren, der mich mit seinen meterlangen Regalen völlig geplättet hatte. Mich hatte es irritiert, dass fast alle Packungsgrößen, ob bei Milch, Cornflakes oder Waschmittel, offenbar auf sechsköpfige Familien mit Mega-Verbrauch zugeschnitten waren. Außer Tempotaschentücher, die es nur in der kleinformatigen 6er-Version gab und die dünn waren wie bei uns Kosmetiktücher. Als Ted mich anschließend gefragt hatte, ob ich noch den Campus der State University gleich nebenan besichtigen wollte, hatte ich die modernen orangeroten, grauen und gelben Fassaden zwischen den weiten Grünflächen gemustert und den Kopf geschüttelt, und seufzend hatte Ted den Blinker gesetzt und war an der Kreuzung wieder stadteinwärts abgebogen.
    Sonst kannte ich nur Chico’s Market, einen Tante-Emma-Laden in einem grauen Haus mit verschnörkelten Erkern an der Leavenworth, der nächsten Straßenecke bergauf. Hinter den mit Reklame vollgepflasterten Scheiben unter der grünen Markise gab es sehr viel mehr Auswahl an Obst und Gemüse als im Supermarkt, das meiste davon Bio, worauf Ted ebenso viel Wert zu legen schien wie Mam. Und im Waschsalon waren wir noch gewesen, am Leroy Place, der aber gar kein Platz war, sondern eine winzige Sackgasse ganz in der Nähe von Chico’s. In dem kleinen Eckgeschäft mit verglasten Fronten und einem schwarz-weiß gekachelten Boden wuselte ein gewisser Lewey (oder Dewey?) in einem makellos weißen Kittel zwischen den Waschmaschinen, den Trocknern und dem Dampfbügler herum und sprach dabei mit breitem Lächeln ein Amerikanisch, das fast völlig in seinem chinesischen Akzent unterging und von dem ich so gut wie kein Wort verstand. Mehr wollte ich von San Francisco auch gar nicht kennenlernen.
    »Sieht schlecht aus mit Parkplätzen«, murmelte Ted hinter dem Lenkrad und blickte sich suchend um, als er in die mit Bäumchen bepflanzte und von einem dichten Geflecht an Kabeln und Leitungen überspannte Straße einbog. Den Bürgersteig entlang reihte sich Auto an Auto und auf der rechten Seite erstreckte sich ein klobiger grauer Klotz mit hell erleuchteten Fensterflächen.
    »Lass mich doch einfach irgendwo aussteigen«, erwiderte ich leichthin und klang gelassener, als ich mich fühlte.
    Ted warf mir einen überraschten Seitenblick zu. »Bist du sicher?«
    »Klar.«
    Er setzte den Blinker und hielt unmittelbar vor dem Eingang. »Wirklich sicher, dass ich nicht mitkommen soll?«
    »Yapp.« Ich klickte den Gurt auf und griff nach meinem Rucksack.
    »Zimmer 105!«
    Ich verdrehte die Augen. »Weiß ich!«
    »Und du simst mir oder rufst mich auf dem Handy an, wenn du aus hast, dann hol ich dich …«
    »Ja-haaa«, fiel ich ihm genervt ins Wort und stieg aus. »Bis dann!«
    Ich schlug die Autotür zu und überquerte den Bürgersteig, auf dem von allen Seiten Schüler heranströmten. Die Feuchtigkeit in der Luft legte sich als dünner Film auf mein Gesicht, und ohne mich noch einmal umzudrehen, stapfte ich die Stufen hinauf. Das dreistöckige Schulgebäude war ein monströses Ungetüm aus grauem Beton, das ein bisschen aussah wie eine Fabrikhalle, kantig, schmucklos und schwerfällig – einfach grässlich. Über den weißen Flügeltüren, von zwei knorrigen, dicht belaubten Baumriesen eingerahmt, starrten die Portraits von Thomas Edison, Thomas Jefferson und William Shakespeare aus

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