In dieser ganz besonderen Nacht (German Edition)
da.
»Byyyeee, Amber! Byyyeee, alle zusammen!«, flötete Michelle, und »Byyyee, Miss Lim!« begleitete das Echo der Schüler sie zur Tür hinaus.
Während Mrs Jankovich nahtlos ihren Unterricht fortsetzte und über die Rolle des Klerus in der Französischen Revolution sprach, sah ich mich verstohlen um. Keiner hatte einen Laptop vor sich stehen, offenbar war es zumindest bei Mrs Jankovich üblich, handschriftlich Notizen zu machen. Vorsichtig, damit ich keinen unnötigen Lärm machte oder gar etwas fallen ließ und damit nur noch mehr Aufmerksamkeit auf mich zog, kramte ich Ringbuch und Kuli aus meinem Rucksack, atmete tief durch und fing an, mitzuschreiben.
Keine fünf Minuten später klopfte es zackig an die Tür, die sofort aufflog und hinter einem asiatischen Jungen in schwarzen Baggy-Pants und offen stehender blauer Kapuzenjacke wieder zuschlug. Sein ebenfalls schwarzes Longsleeve hing aus dem Hosenbund und schaute unter dem Linkin-Park-T-Shirt in XXL hervor; ein Tuch mit Totenkopfmuster war mehrfach um seinen Hals gewickelt, und das Kabel eines Kopfhörers lag darum, dessen Stöpsel er sich gerade aus den Ohren rupfte.
»Sorry, Mrs Janks!«, rief er mit einem entwaffnenden Grinsen, während er auf seinen Sneakers an der Lehrerin vorbeischlurfte. »Hab nicht gleich einen Parkplatz gekriegt!« Seine ohnehin schmalen Augen wirkten verschlafen und in der Hand hielt er einen großen Pappbecher von Starbucks. Ächzend ließ er sich auf den Platz neben mir fallen und setzte seinen Rucksack ab. Leises Kichern wanderte durch die Klasse.
Ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren. Weniger wegen des spärlichen schwarzen Goatees an seinem eckigen Kinn oder weil seine leicht abstehenden Ohren mit kleinen, dünnen Silberringen gepierct waren. Sondern weil mir die Farbe seiner Haare, die er mit Gel in alle Richtungen gestellt hatte, buchstäblich ins Auge sprang.
Sie waren pink. Grellpink. Pinker ging nicht mehr. Mit einem violetten Schimmer, wenn er den Kopf bewegte, so wie jetzt, als er einen großen Schluck von seinem Kaffee trank.
»Matthew. Chang.« Mrs Jankovich klang, als bemühte sie sich, ruhig zu bleiben.
Er sah sie über den Rand seines Pappbechers hinweg verwirrt an. »Äh. Ja. Natürlich! Neues Jahr, aber immer noch derselbe alte Matt wie im vorigen.« Ein Grinsen zog seinen vollen Mund in die Breite. »Ach so – ein gutes neues Jahr, Mrs Jankovich!« Erneut sprudelte Gekicher auf.
»Deine Haare sind pink«, stellte die Geschichtslehrerin fest. Als ob irgendjemand das hätte übersehen können.
»Eeehm, also«, Matt Chang rutschte auf seinem Platz herum, »eigentlich Magenta, Mrs Jankovich. Genauer gesagt Blueberry Hill .« Er legte seine hohe Stirn in verunsicherte Falten. »Ist doch besser als das Mojito Green letztes Mal, oder?«
Hinter mir gab jemand einen erstickten Laut von sich und ich drehte mich vorsichtig um. Ein pummeliger Asiate mit dicken Brillengläsern unterdrückte hinter vorgehaltener Hand krampfhaft ein Lachen; sein pausbäckiges Gesicht war bereits rot angelaufen.
Mrs Jankovich seufzte. »Bevor ich dich jetzt wieder an die Kleiderordnung unserer Schule erinnere und du mir einen Vortrag über die in der Verfassung der Vereinigten Staaten festgeschriebene Meinungs- und Religionsfreiheit hältst, kürzen wir das Ganze ab.« Sie wandte sich zu ihrem Pult und holte aus der Schublade einen kleinen gelben Block hervor, auf den sie mit Kugelschreiber hastig etwas kritzelte. Das oberste Blatt riss sie ab und behielt den Durchschlag, während sie das Original hochhielt. »Mrs Lovell wird sich freuen, dich wiederzusehen, Matt.«
Während Matt sich erhob und zum Pult vortigerte, überlegte ich, woher ich diesen Namen kannte. In der Info-Broschüre der Schule hatte ich ihn gelesen, fiel mir dann ein: Mrs Lovell war die Rektorin der Jefferson High. Ich erinnerte mich vage an ein hageres Frauengesicht in mittlerem Alter mit einer brünetten Helmfrisur. Dafür, dass sie Matt gerade eine Vorladung zur Rektorin übergab, wirkte Mrs Jankovich allerdings wenig autoritär, sondern eher nachsichtig, fast liebevoll, und auch Matt nahm den Zettel völlig unbeschwert entgegen. Als er an seinen Platz zurückkehrte, zwinkerte er mir sogar zu. Hastig senkte ich den Kopf, sodass mir meine Haare vors Gesicht fielen. Ich nahm mir vor, sicherheitshalber einen Blick in diese ominöse Kleiderordnung der Jefferson High zu werfen, konnte vielleicht nicht schaden, und konzentrierte mich dann wieder auf den
Weitere Kostenlose Bücher