In dunkler Tiefe sollst du ruhn: Mitchell & Markbys zwölfter Fall
Zündung einschaltete.
»Er hätte sich wenigstens um einen kleinen Rest von Anstand bemühen können!« Das hast du dir alles selbst eingebrockt!, sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Du hättest erst gar nicht anhalten sollen.
»Und das werde ich auch ganz bestimmt nicht mehr tun!«, antwortete sie laut. Die Hazelwood Farm am Ende eines langen, schlecht gepflegten Schotterwegs sah im ersten Augenblick geisterhaft verlassen aus. Doch sobald Jane aus der schallisolierten Enge des Wagens gestiegen war, hörte sie das Muhen von Vieh in einem Bau an der Seite, wo sich vermutlich die Melkmaschine befand. Bevor sie sich’s versah, ertönte lautes, stampfendes Hufgetrappel und eine Männerstimme stieß einen durchdringenden Ruf aus. Die Herde platzte aus dem Gebäude. Zu Janes Entsetzen bildete sie eine wogende dunkle Wand von dampfenden Leibern, spitzen Hörnern, triefenden Mäulern und glänzenden Augen. Hufe sanken in den weichen, von Unrat übersäten Boden des Farmhofs, als sie sich gegenseitig stießen und weitertrieben. Muhend und mit peitschenden Schwänzen rannten sie auf Jane zu. Jane flüchtete in den Wagen. Es gelang ihr gerade eben noch, die Tür zu schließen, bevor sie von Vieh umgeben war. Die Kühe prallten gegen den Wagen, und eine oder zwei blieben für einen Augenblick stehen, um neugierig ins Innere zu starren, während ihr Atem die Scheiben beschlagen ließ. Der warme Geruch nach Dung wehte ins Wageninnere. Endlich, Gott sei Dank, waren sie vorbei und strömten durch ein Gatter auf der anderen Seite des Hofs auf eine Weide. Jane stieß einen erleichterten Seufzer aus, bevor ihr bewusst wurde, dass ein Mann neben dem Wagen aufgetaucht war und sich nun bückte, um durch das Fenster zu blicken. Jane kurbelte die Scheibe herab. Sie war noch zu sehr verunsichert, um die Ruhe zu zeigen, die sie gerne gezeigt hätte.
»Tut mir Leid, wenn die Tiere Ihnen einen Schrecken eingejagt haben«, sagte der Fremde.
»Aber Sie hätten keine Angst haben müssen. Ihnen wäre nichts passiert. Ich wusste nicht, dass Sie auf dem Hof waren.«
»Ich … ich habe nicht mit einer Herde Milchkühe gerechnet.« Sein Gesicht trug den nachsichtigen Ausdruck, den Landmenschen stets zeigen, wenn sie mit Stadtbewohnern zusammentreffen, die hoffnungslos vom Alltag auf dem Land überfordert sind. Jane schätzte ihn auf um die vierzig, wettergegerbt, stämmig gebaut und auf eine gewisse, abgenutzte Weise nicht unattraktiv. Nun erkannte sie auch, dass sein Gesicht von tiefen Linien durchzogen war und seine Augen traurig blickten.
»Mr Franklin?«, fragte sie.
»Das bin ich, ja. Und Sie sind die Lady, die vorhin angerufen hat? Tams Lehrerin?« Jane beschloss, dass es an der Zeit war, aus dem Wagen zu steigen. Es gelang ihr einigermaßen würdevoll.
»Danke sehr, dass Sie mir erlaubt haben zu kommen, Mr Franklin. Mir ist bewusst, dass Sie eine schwere Zeit durchmachen und dass Sie nicht mögen, wenn Fremde hereinplatzen.«
»Die habe ich schon hier«, antwortete er mit einiger Bitterkeit.
»Die Polizei ist da, stellt Fragen und trampelt überall herum. Sie war sogar unten beim Caravan vom armen, alten Danny. Sie können mit Tammy reden, wenn Sie mögen. Aber ohne respektlos erscheinen zu wollen, wir kommen zurecht. Wir brauchen keine Hilfe. Sagen Sie das der Schule. Tammy ist irgendwo im Haus. Ich komme nach, sobald ich kann.« Er überquerte den Farmhof und schloss das Gatter hinter den Milchkühen, dann kehrte er zum Melkstall zurück und verschwand im Innern. Jane blickte sich um. Farmarbeit konnte nicht einfach eingestellt werden, was auch immer geschah. Die Tiere mussten versorgt werden, gefüttert, gemolken; tägliche Aufgaben, die keinen Aufschub duldeten. Jane legte die Stirn in Falten. Sie hatte Sonia Franklin nur zweimal getroffen, und beide Male kurz. Sonia war Jane nicht wie eine typische Bauersfrau vorgekommen. Sie hätte die Tote eher als jemanden eingeschätzt, dessen angestammte Gegend Knightsbridge war, hätte sie es nicht besser gewusst. Bis zu diesem Augenblick hatte Jane nicht besonders darüber nachgedacht. Die Falten auf ihrer Stirn vertieften sich, als sie angestrengt versuchte, sich das Bild der Frau ins Gedächtnis zu rufen, die schlanke, gut gekleidete Gestalt, das sorgfältig aufgetragene Make-up, die manikürten Nägel. Was um alles in der Welt mochte in die Frau gefahren sein, dieses einfache Landleben auf sich zu nehmen, ein Leben, für das sie ganz und gar ungeeignet gewesen sein musste? Und wo wir
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