In dunkler Tiefe sollst du ruhn: Mitchell & Markbys zwölfter Fall
mehr will. Der Zurückgewiesene hat zwei Möglichkeiten. Er kann zerbrechen, sich erniedrigen, betteln und flehen, versuchen, den verlorenen Boden wieder gutzumachen, oder er kann sich in Würde zurückziehen. Jane hatte sich für Letzteres entschieden. Sie hatten sich demnach, wie es so ironisch hieß, als Freunde getrennt. Doch Freunde trennten sich nicht. Es wäre einfacher gewesen, erkannte sie nun, hätten sie sich in einem grässlichen Streit getrennt und einer hätte den anderen vollkommen aus seinem Leben verbannt. So jedoch waren sie in einem verlegenen Schwebezustand verblieben, Ex-Partner, Ex-Liebende, ExFreunde, verbunden durch ein unsichtbares Band, dessen nur sie beide allein sich noch bewusst waren. Obwohl auch das wahrscheinlich nicht stimmte. Sie war diejenige, die dieses Band noch spürte. Er hatte auch das verdrängt.
»Ich mache uns einen Tee.« Das war die britische Art, mit Situationen wie dieser umzugehen, und sie entschied sich nun dafür. Als der Tee fertig war und sie ihm einen Becher gebracht hatte, riss er sich zusammen, erhob sich von seinem Stuhl und ging hinaus in die Werkstatt, um sich mit ein paar Kiefernlatten zu beschäftigen. Sie nahm seinen Becher und trug ihn hinterher.
»Hör mal, Pete, entweder stimmt etwas nicht, oder du bist krank. Du siehst aus wie …« Sie unterbrach sich gerade noch rechtzeitig.
»… wie der leibhaftige Tod«, hatte sie sagen wollen, doch angesichts ihrer eigentlichen Aufgabe an diesem Nachmittag war die Redewendung unangemessen.
»Du siehst schrecklich aus«, sagte sie stattdessen. Er blickte sie ausweichend an und strich sich mit der Hand über die Haare, als könnte diese Geste eine Verbesserung herbeiführen.
»Ich habe viel gearbeitet«, sagte er.
»Ich muss einen Auftrag fertig stellen, vier Esszimmerstühle und zwei Schnitzereien.«
»Die Stühle neben dem Eingang?«
»Ganz genau.« Er nahm den Becher in die Hand und neigte den Kopf darüber. Die Haare in seinem Nacken waren kurz geschoren und dunkler als die sonnengebleichten langen Haare oben auf dem Kopf. Der Anblick versetzte Jane einen schmerzhaften Stich. So viele Erinnerungen, die sie damit verband.
»Was machst du hier draußen, Jane?« Er fragte nicht, weil es ihn interessiert hätte. Dazu war sein Tonfall zu beiläufig. Er versuchte normal zu klingen.
»Ich habe etwas auf der Hazelwood Farm zu erledigen«, antwortete sie. Fast wäre ihm der Becher aus der Hand gefallen. Er fluchte, als heißer Tee über seine Finger schwappte, und setzte den Becher eilig ab.
»Was hast du zu erledigen?«, fragte er.
»Was hast du auf der Hazelwood Farm zu suchen?« Seine Augen blitzten wild, und sie spürte einen Anflug von Angst. Er sah aus, als stünde er dicht davor, den Verstand zu verlieren.
»Eine meiner Schülerinnen wohnt dort. Tammy Franklin. Ihre Mutter, ihre Stiefmutter heißt das, wurde tot aufgefunden.«
»Ich weiß. Ich hab davon gehört.« Seine Stimme klang unnatürlich und gezwungen. Er verschränkte die Finger.
»Ich verstehe trotzdem nicht, warum du zur Hazelwood Farm fährst.«
»Die Schule trägt eine Verantwortung für Tammy. Wir … wir wollen wissen, welche Hilfestellung wir ihr geben können.« Jane zögerte.
»Peter, hast du etwas gegessen? Ich meine heute? Irgendetwas? Wenn du magst, komme ich noch mal vorbei, wenn ich auf Hazelwood fertig bin, und koche dir etwas …«
»Nein, ich will nichts. Ich komme zurecht, danke. Ich kann mir selbst etwas kochen.« Er schüttelte ablehnend den Kopf.
»Nein, das kannst du nicht, Pete«, widersprach sie.
»Was auch immer passiert ist …«
»Um Himmels willen, Jane!«, platzte er hervor wie jemand, der den Schmerz kaum noch ertragen kann. Sie wich einen Schritt zurück. Ihr Gesicht brannte vor Verlegenheit.
»Es … es tut mir Leid«, begann sie.
»Ich wollte mich nicht einmischen.« Dann gewannen verletzter Stolz und Zorn die Oberhand.
»Wie du meinst! Ich wollte nur helfen, weiter nichts. Du musst nicht so verdammt gemein sein deswegen! Deine Probleme gehen mich schließlich nichts an. Ich wollte dir lediglich etwas Gutes tun, das ist alles. Wenn du es nicht brauchst, meinetwegen!« Sie machte auf dem Absatz kehrt und marschierte hinaus. Sie glaubte, ihn ihren Namen rufen zu hören, ein einziges Mal, ganz schwach, doch sie ignorierte es. Sie stieg in den Wagen, zog die Tür krachend ins Schloss und hämmerte mit dem Handballen auf das Lenkrad.
»Blödes Arschloch!«, murmelte sie vor sich hin, während sie die
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