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In einem anderen Land

In einem anderen Land

Titel: In einem anderen Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Stellen, an denen das trockene Blut festgeklebt war, weg und wischte es sauber mit dem Ärmel meiner Jacke ab. Ich wollte nicht verdächtig aussehen. Ich wußte, daß ich hier raus mußte, bevor wir nach Mestre kamen, weil sich jemand um diese Kanonen kümmern würde. Man hatte keine Kanonen, die man verlieren oder vergessen konnte. Ich war entsetzlich hungrig.

Viertes Buch

01
    Ich ließ mich in Mailand morgens früh, bevor es Tag wurde, vom Zug gleiten, als er seine Geschwindigkeit verringerte, um in den Bahnhof einzulaufen. Ich ging über das Gleis und kam zwischen einigen Gebäuden heraus und hinunter auf die Straße. Eine Weinhandlung war offen, und ich ging hinein, um Kaffee zu trinken. Es roch nach frühem Morgen, nach gefegtem Staub, Löffeln und Kaffeegläsern und den nassen Kreisen, die die Weingläser hinterlassen hatten. Der Besitzer stand hinter dem Ausschank. Zwei Soldaten saßen an einem Tisch. Ich stand an der Theke und trank ein Glas Kaffee und aß ein Stück Brot. Der Kaffee war grau durch die Milch, und ich schöpfte die Haut mit einem Stück Brot ab. Der Besitzer sah mich an.
    «Ein Glas Grappa?»
    «Nein, danke.»
    «Ich spendiere es Ihnen», sagte er, schenkte ein kleines Glas voll und schob es mir zu. «Was ist an der Front los?»
    «Woher soll ich das wissen?»
    «Die sind betrunken», sagte er und bewegte den Kopf in die Richtung der beiden Soldaten. Ich konnte es ihm glauben. Sie sahen betrunken aus.
    «Erzähl mir», sagte er. «Was ist an der Front los?»
    «Woher soll ich was von der Front wissen?»
    «Ich hab dich die Mauer runterkommen sehen. Du kamst aus dem Zug.»
    «Es ist ein großer Rückmarsch.»
    «Ich hab die Zeitung gelesen. Was passiert? Ist es vorbei?»
    «Ich glaube nicht.»
    Er füllte das Glas mit Grappa aus einer kurzen Flasche.
    «Wenn du in der Klemme bist, kann ich dich unterbringen», sagte er.
    «Ich bin nicht in der Klemme.»
    «Wenn du in der Klemme bist, bleib hier.»
    «Wo denn?»
    «Hier im Haus. Es sind viele hier. Alle, die in der Klemme sitzen, bleiben hier.»
    «Sind viele in der Klemme?»
    «Es hängt davon ab, was man so ne nnt. Sind Sie Südamerikaner?»
    «Nein.»
    «Sprechen Sie Spanisch?»
    «Ein bißchen.»
    Er wischte die Theke ab.
    «Heutzutage ist es schwierig, das Land zu verlassen, aber nicht etwa unmöglich.»
    «Ich habe nicht den Wunsch, es zu verlassen.»
    «Sie können so lange hierbleiben, wie Sie wollen. Sie werden merken, was für eine Art Mann ich bin.»
    «Für heute muß ich gehen, aber ich will mir die Adresse fürs nächste Mal merken.»
    Er schüttelte den Kopf. «Wenn Sie so sprechen, kommen Sie nicht wieder. Ich dachte, Sie wären in ernsten Schwulitäten.»
    «Ich bin in keinerlei Schwulitäten. Aber ich weiß die Adresse eines Freundes zu schätzen.»
    Ich legte eine Zehn-Lire-Note auf den Ausschank, um für meinen Kaffee zu bezahlen.
    «Trinken Sie einen Grappa mit mir», sagte ich.
    «Das ist nicht nötig.»
    «Los, trinken Sie!»
    Er goß beide Gläser voll.
    «Denken Sie daran», sagte er. «Kommen Sie her. Lassen Sie sich nicht von anderen Leuten in die Falle locken. Hier sind Sie in Sicherheit.»
    «Ich bin überzeugt davon.»
    «Sind Sie wirklich überzeugt?»
    «Ja.»
    Er meinte es ernst. «Dann lassen Sie mich Ihnen eines sagen. Laufen Sie nicht in der Jacke herum.»
    «Warum?»
    «Auf den Ärmeln sieht man sehr deutlich, wo die Sterne abgeschnitten sind. Das Tuch hat eine andere Farbe.»
    Ich sagte nichts.
    «Wenn Sie keine Papiere haben, kann ich Ihnen welche geben.»
    «Was für Papiere?»
    «Urlaubsscheine und so.»
    «Ich brauch keine Papiere. Ich habe Papiere.»
    «Gut», sagte er. «Aber wenn Sie Papiere brauchen, kann ich Ihnen besorgen, was Sie wollen.»
    «Was kosten solche Papiere?»
    «Es kommt darauf an, was es ist. Der Preis ist mäßig.»
    «Ich brauch jetzt keine.»
    Er zuckte mit den Achseln.
    «Bei mir ist alles in Ordnung», sagte ich.
    Als ich rausging, sagte er: «Vergessen Sie nicht, daß ich Ihr Freund bin.»
    «Nein.»
    «Sie werden wiederkommen», sagte er.
    «Gut», sagte ich.
    Draußen hielt ich mich vom Bahnhof entfernt, weil sich Militärpolizei dort aufhielt, und nahm am Rand des kleinen Parks eine Droschke. Ich nannte dem Kutscher die Adresse des Lazaretts. Im Lazarett ging ich in die Loge des Pförtners. Seine Frau umarmte mich. Er schüttelte mir die Hand.
    «Sie sind zurück. Sie sind in Sicherheit.»
    «Ja.»
    «Haben Sie schon gefrühstückt?»
    «Ja.»
    «Wie geht's Ihnen, Tenente?

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