In einem anderen Land
Wie geht's Ihnen?» fragte die Frau.
«Danke, gut.»
«Wollen Sie nicht mit uns frühs tücken?»
«Nein, danke sehr. Sagen Sie mir, ist Miss Barkley noch hier im Lazarett?»
«Miss Barkley?»
«Die englische Dame, die hier pflegte.»
«Sein Schatz», sagte die Frau. Sie streichelte meinen Arm und lächelte.
«Nein», sagte der Pförtner. «Die ist weg.»
Mein Herz sank. «Sind Sie sicher? Ich meine die große blonde englische junge Dame.»
«Ich bin ganz sicher. Sie ist nach Stresa gefahren.»
«Wann ist sie gefahren?»
«Vor zwei Tagen. Mit der anderen englischen Dame.»
«Gut», sagte ich. «Ich bitte Sie, mir einen Gefallen zu tun. Erzählen Sie keinem, daß Sie mich gesehen haben. Das ist sehr wichtig für mich.»
«Ich werd's niemand erzählen», sagte der Pförtner. Ich gab ihm eine Zehn- Lire-Note. Er wies sie zurück.
«Ich verspreche Ihnen, daß ich es niemand sagen werde», sagte er. «Ich will kein Geld.»
«Was können wir für Sie tun, Signor Tenente?» fragte seine Frau.
«Nur das», sagte ich.
«Wir sind stumm», sagte der Pförtner. «Sie werden mich wissen lassen, sobald ich etwas für Sie tun kann?»
«Ja», sagte ich. «Bestimmt, auf Wiedersehen.»
Sie standen in der Tür und sahen mir nach.
Ich stieg in die Droschke und gab dem Kutscher die Adresse von Simmons, dem einen von meinen beiden Bekannten, die Gesang studierten.
Simmons wohnte ein ganzes Stück entfernt in der Richtung der Porta Magenta. Er lag im Bett und war noch verschlafen, als ich ihn aufsuchte.
«Du stehst schrecklich früh auf, Henry», sagte er.
«Ich bin mit dem Frühzug gekommen.»
«Was ist denn diese ganze Rückzugsgeschichte? Warst du an der Front? Willst du eine Zigarette haben? Da in der Schachtel auf dem Tisch.» Es war ein großes Zimmer; das Bett stand an der Wand, ein Klavier, eine Frisierkommode und ein Tisch am anderen Ende. Ich saß auf einem Stuhl neben dem Bett. Simmons saß gegen die Kissen gelehnt und rauchte.
«Ich bin in Schwulitäten, Sim», sagte ich.
«Ich auch», sagte er. «Ich bin immer in Schwulitäten. Rauchst du nicht?»
«Nein», sagte ich. «Wie ist das Verfahren, um in die Schweiz zu gelangen?»
«Für dich? Die Italiener würden dich nicht aus dem Land lassen.»
«Ja. Das weiß ich. Aber die Schweizer? Was werden die tun?»
«Sie werden dich internieren.»
«Ich weiß. Aber was geschieht eigentlich?»
«Nichts. Es ist sehr einfach. Du kannst überall hin. Ich glaube, du mußt dich nur melden oder so was. Warum? Fliehst du vor der Polizei? Was ist passiert?»
«Noch nichts Bestimmtes.»
«Erzähl's mir nicht, wenn du nicht willst. Aber es würde mich interessieren. Hier passiert gar nichts. Ich war ein großer Reinfall in Piacenza.»
«Tut mir schrecklich leid.»
«O ja - es ging mir sehr schlecht. Dabei habe ich gut gesungen. Ich will's hier im Lyrico noch mal versuchen.»
«Da wär ich zu gern dabei.»
«Du bist schrecklich höflich. Du bist doch nicht ernsthaft in Schwulitäten oder doch?»
«Ich weiß nicht.»
«Erzähl's mir nicht, wenn du nicht willst. Wie bist du denn von dieser Scheißfront weggekommen?»
«Ich glaube, die ist für mich erledigt.»
«Bravo, mein Junge. Ich hab immer gewußt, daß du Verstand hast. Kann ich dir irgendwie helfen?»
«Du bist schrecklich beschäftigt.»
«Aber keine Spur, mein lieber Henry, keine Spur. Ich würde mich freuen, wenn ich irgendwas für dich tun könnte.»
«Du hast ungefähr meine Größe. Würdest du ausgehen und mir eine Garnitur Zivilsachen besorgen? Ich habe alles, aber es ist in Rom.»
«Da hast du mal gelebt, nicht wahr? Ein dreckiger Ort. Wieso hast du da eigentlich gewohnt?»
«Ich wollte Architekt werden.»
«Das ist nicht der Ort dafür. Kauf keine Garderobe. Ich kann dir alles geben, was du brauchst. Ich werde dich so ausrüsten, daß du großen Erfolg haben wirst. Geh ins Ankleidezimmer. Da ist ein Schrank. Nimm, was du brauchst. Mein lieber Junge, du brauchst dir doch nichts zum Anziehen zu kaufen.»
«Ich möchte es lieber kaufen, Sim.»
«Mein lieber Junge, es ist so viel einfacher für mich, du nimmst dir von meinen Sachen, als daß ich ausgehen muß, um dir was zu kaufen. Hast du einen Paß? Ohne Paß wirst du nicht weit kommen.»
«Ja, meinen Paß hab ich noch.»
«Dann zieh dich um, mein lieber Junge, und auf ins alte Helvetien.»
«So einfach ist das nicht. Ich muß erst nach Stresa.»
«Ideal, mein lieber Junge. Du ruderst einfach im Boot rüber. Wenn nicht das mit dem
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