In einer anderen Haut
rasen begann. «Was hast du genommen, Tug? Was hast du genommen?»
Er sah zu ihr auf, als würde er durch das falsche Ende eines Teleskops blicken, und es dauerte eine volle Minute, bis er sie zu erkennen schien. «Ich habe gar nichts genommen», brachte er dann hervor. «Was machst du denn hier?»
Sie kniete neben ihm auf dem Bett, drauf und dran, die weißen Flocken um seinen Mund wegzuwischen – getrockneter Speichel, der sich über Stunden hinweg angesammelt haben musste –, doch spürte sie, dass er nicht berührt werden wollte, als stünde eine unsichtbare Wand zwischen ihnen.
«Wir wollten doch einkaufen gehen», sagte sie leise. «Hast du’s vergessen?»
«Oh.» Er warf einen Blick an die Decke, ehe er den Blick wieder auf sie richtete. «Tut mir leid», sagte er dann. Die Worte klangen hohl, völlig inhaltsleer.
«Hey», sagte sie. «Sprich mit mir. Ist alles okay mit dir?»
Er schluckte. «Ich fühle mich ein bisschen unpässlich.»
«Ich hole dir was.» Behutsam berührte sie seine Hand; sie wusste,dass er nicht körperlich krank war. «Willst du ein Glas Wasser?»
Er nickte. Sie verließ den Raum, um ein Glas zu holen, erschüttert von dem, was sie in seinen Augen gesehen hatte – weder Traurigkeit noch Benommenheit, weder Bedauern noch Reue. Er wusste genau, dass sie alles für ihn getan hätte, und doch hatte sich nur Mitleid in seinem Blick gespiegelt.
Als sie zurückkam, saß er aufrecht im Bett, die Kissen im Rücken, und jetzt wirkte er tatsächlich ernsthaft krank. Während er einen Schluck Wasser trank, zog sie die Vorhänge zurück und ließ das stumpfe, blaugraue Licht des feuchten Märztages zu ihnen herein.
Die Speichelreste um seinen Mund waren verschwunden. «Es tut mir leid», wiederholte er.
«Du musst dich nicht bei mir entschuldigen», erwiderte sie.
«Ich konnte gestern Nacht nicht einschlafen, und irgendwie ist alles in meinem Kopf verschwommen», sagte er. «Du liebe Güte, ich war völlig durch den Wind.»
«So was hatte ich mir schon gedacht.»
Sie hätte noch einiges hinzufügen können, doch sie verkniff es sich, weil sie wusste, dass er all die Worte, die ihr auf den Lippen lagen, schon einmal gehört hatte, von niemand anderem als ihr selbst. Und so harrte sie schweigend neben ihm aus. Nach einer Weile schien sich der Himmel allmählich aufzuklaren, und das Licht wirkte etwas weniger fahl.
Hinterher verloren sie kaum ein Wort darüber.
Tug stand schließlich auf und ging unter die Dusche, und dann fuhren sie nach Little Italy. Zunächst verhielt er sich vage distanziert, wie ein Kind, das gerade aufgewacht und noch halb in einemTraum gefangen war. Doch dann half er ihr, die Espressomaschine auszusuchen, schenkte ihr sogar noch ein paar Tässchen dazu, und als sie zusammen Mittag aßen, war er wieder ganz der Alte, stellte ihr Fragen und brachte sie zum Lachen. Sie fuhren zurück in ihre Wohnung und schliefen miteinander, und es war, als würden ihre Körper nun den Dialog führen, dem sie zuvor aus dem Weg gegangen waren: behutsam, dann offen, bis sie schließlich zu einem gemeinsamen Rhythmus fanden. Den Rest des Tages verbrachten sie miteinander, als sei nichts passiert.
Aber der Vorfall hatte sie aufgerüttelt. Sie ertappte sich dabei, wie sie ihn beobachtete, während sie sich fragte, was den depressiven Schub ausgelöst hatte. Ein Junge, der ihm zufällig über den Weg gelaufen war? Ein Anruf von seiner Exfrau? Einerseits hätte sie ihn gern gefragt, andererseits unterdrückte sie diesen Impuls, da sie hoffte, er würde von selbst etwas sagen, wenn sie ihn in Ruhe ließ. Doch wann immer sie ihn fragend ansah, schüttelte er den Kopf und bedeutete ihr damit, es gut sein zu lassen.
Es gelang ihr nicht. Zwei Tage später schenkte sie ihm ein Glas Wein ein, während sie zusammen das Abendessen vorbereiteten, und fragte: «Können wir darüber reden?»
«Klar», erwiderte er, aber sein Tonfall verriet, dass er alles andere als begeistert war. Er starrte auf eine Knoblauchzehe und hackte sie sorgfältig klein. «Was willst du denn wissen?»
«Alles», sagte sie. «Passiert dir so was oft?»
«Was
passiert mir oft?»
«Du weißt genau, was ich meine.»
Er gab einen tiefen Seufzer von sich, wischte sich, das Messer noch in der Hand, über die Stirn, und musterte sie irritiert. «Nein», erwiderte er. «Nicht oft.» Dann griff er nach einer Tomate und begann sie zu schneiden; nacheinander fielen die Scheiben in ihren eigenen Saft.
«Woran lag es denn?
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