In einer anderen Haut
ausschaltete.
«Ich brauche meinen Schlaf.» Ihre Stimme bebte. «Morgen um acht habe ich eine wichtige Besprechung. Kannst du den Fernseher bitte leiser stellen?»
Er starrte weiter auf den Apparat, während er sich fragte, wo das Bild geblieben war. Marcie trat direkt vor ihn, redete weiter auf ihn ein, beugte sich so tief zu ihm herunter, dass ihre Nasen sich beinahe berührten. Sie versperrte ihm die Sicht, und er versuchte sie wegzuschieben, doch er war so grob, dass sie über den Wohnzimmertisch fiel, sich den Ellbogen stieß und zu weinen begann.
«Ich weiß, dass diese Afrika-Geschichte daran schuld ist, dass du dich wie ein Arschloch verhältst», sagte sie. «Aber du benimmst dich auch sonst wie ein ausgewachsenes Arschloch. Kapierst du das nicht?»
Er verstand sie durchaus. Ihm war bewusst, dass die dunkle Seite seiner Persönlichkeit keineswegs als Folge der Gräuel in Ruanda zutage getreten war. Das Dunkel war schon immer ein Teil von ihm gewesen. Seine Aufenthalte in fremden Ländern hatten lediglich dazu beigetragen, es zum Vorschein zu bringen, den wahren Kern seines Ichs freizulegen. Vielleicht hatte ihn der ganze Wahnsinn auch nur zu der Einsicht gebracht, dass die meisten Dinge im Leben ohnehin nichts wert waren.
Monate vergingen, ohne dass sich etwas änderte. Im Winter liefer nach Feierabend ziellos durch die Gegend, während ihm die Kälte in Nase und Ohren kniff. Er verbrachte so wenig Zeit wie möglich zu Hause, im Glauben, Marcie damit einen Gefallen zu tun. Eines Abends sah er ein paar Jungs im Park beim Eishockeyspielen zu, die Eisbahn eine Lichtoase im Dunkel, und lauschte dem Zischen und Pfeifen der Kufen, als ihm aus heiterem Himmel Yozefu in den Sinn kam. Vor seinem inneren Auge sah er nicht den Jungen, den er hatte sterben sehen, sondern den Yozefu, den er damals kurz nach seiner Ankunft in Ruanda kennengelernt hatte.
Er sah ihn vor sich, wie er den Puck aus Bananenblättern lachend quer über den Hof geschlagen und dabei immer wieder «Ein Schuss, ein Treffer!» gerufen hatte.
Er begann zu weinen, zerrte mit beiden Händen an seinen Haaren. Er schluchzte, verschluckte sich an seinen Tränen und rollte sich am Rand der Eisbahn zusammen. Wahrscheinlich hätte er die ganze Nacht dort verbracht, doch dann trat einer der Väter zu ihm und bat ihn, das Gelände zu verlassen – er würde den Kindern Angst machen.
Damit endete dieses Kapitel seines Lebens. Hinterher hatte er sich wieder im Griff. Er hörte auf, sich jeden Abend maßlos zu betrinken. Er ging zur Arbeit, kehrte nach Hause zurück, riss sich zusammen.
Aber er konnte immer noch nicht schlafen, verbrachte die Nächte auf der Couch, hohläugig auf den Fernseher starrend, Kopfhörer auf den Ohren, um Marcie nicht zu stören. Wenn sie mit Freunden ausgingen, saß er schweigend mit am Tisch, ein freundliches Lächeln auf den Lippen, ohne sich je wirklich am Gespräch zu beteiligen. Er war wie ein gehorsamer Hund, der geduldig neben seinem Frauchen ausharrte und Menschen beobachtete, deren Verhalten ihm unerklärlich war. Viele ihrer Bekannten beglückwünschten ihndazu, wie gut er sich machte, aber er war nicht sicher, ob ihre Komplimente sarkastisch, ermunternd oder schlicht herablassend gemeint waren, als würden sie ein Kind dafür loben, wie gut es Schach spielen konnte. Nach einer Weile begriff er, dass sie lediglich glaubten, er habe sich nach seinen Alkoholexzessen wieder unter Kontrolle, dass seine ruhige Fassade für sie ein Zeichen von Normalität darstellte, und vielleicht war das ja auch genug. Und so versuchte er, sich in den Bahnen eines ganz gewöhnlichen Lebens zu bewegen, sich an seine Formen anzupassen, als wäre er aus Lehm.
Dann beförderte ihn seine Chefin zum Leiter der Abendschicht, wodurch sich seine Arbeitszeiten änderten. Wenn er nach Hause ging, waren die Parks leer, und nirgendwo spielten Jungs, die ihn an Yozefu erinnerten.
Die Weihnachtszeit war so schnell vorüber, wie sie begonnen hatte.
Im Januar gab es einen Schneesturm, und im Geschäft fiel der Strom aus. Er rief seine Chefin an, die ihn bat, den Laden zu schließen. Eiskristalle bohrten sich in seine Wangen, als er nach Hause ging. Die Stadt war ein Meer aus Licht und Dunkelheit, manche Fenster erhellt, andere stockfinster.
In ihrer Wohnung war es dunkel, als er nach Hause kam. Marcie war völlig verblüfft, hatte offenbar nicht mit ihm gerechnet. Als er erklärte, was passiert war, brach sie unvermittelt in Tränen aus.
«Ist doch
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