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In einer anderen Haut

In einer anderen Haut

Titel: In einer anderen Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alix Ohlin
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Unterhaltungswert zu besitzen.
    Und natürlich kam Diane in just dem Augenblick herein, als Anne gerade die letzte Seite gelesen hatte. Sie trat betont beiläufig an den Kühlschrank, mied jeglichen Blickkontakt, während sie sich ein Glas Eistee mit Jasmingeschmack einschenkte. Sie war so durchschaubar, so unglaublich liebenswert.
    Ohne nachzudenken, sagte Anne: «Ich liebe dich.»
    Diane stellte ihr Glas ab und legte die Arme um sie. «Aber nicht mein Skript.»
    «Du lieber Gott, nein.»
    Diane gab ein ungläubiges Schnauben von sich. «Ich fasse es nicht. Du gibst dir nicht mal die Mühe, so zu tun, als würde es dir gefallen?»
    Anne verstand sie nicht. Wie konnte sie so etwas von ihr verlangen? Warum begriff eine so intelligente Frau nicht, dass sie nicht schreiben konnte? Im selben Moment spürte sie, wie etwas Feuchtes ihre Schulter benetzte. Diane weinte.
    «Gefällt es
dir
etwa?», fragte sie.
    «Das ist nicht der Punkt.» Diane trocknete ihre Wange an Annes T-Shirt-Ärmel. «Würdest du mich lieben, würdest du auch hinter mir stehen.»
    «Indem ich dein Skript lobe, obwohl es nichts taugt? Was soll das denn bringen?»
    «Wenn man jemanden liebt, dann sagt man ihm nicht, dass er sein Drehbuch genauso gut in den Müll werfen kann.» Dianes Lippen bebten. «Man spricht mit dem anderen. Man sagt ihm erst mal, was einem
gefällt
. Man sagt, das Ganze hat
Potenzial
, aber da lässt sich noch mehr rausholen.
So
redet man, wenn man kein Roboter oder ein unsensibler Klotz ist.»
    «Es tut mir leid.» Anne wollte ihre Hand ergreifen, doch Dianewandte sich ab und verließ wortlos das Haus. Als Anne schlafen ging, war sie immer noch nicht zurück. Es war der erste Streit, den sie je gehabt hatten.

    Es setzte ihr mehr zu, als sie gedacht hätte. Es war, als wäre ihr der Boden unter den Füßen weggezogen worden; ihr war übel, sie konnte nicht schlafen, und am nächsten Tag schüttelte die Maskenbildnerin den Kopf, als sie die dunklen Ringe unter ihren Augen sah. Das wiederum machte sie wütend auf Diane, weshalb sie nach dem Dreh nicht nach Hause fuhr, sondern zu ihrer alten Wohnung. Inzwischen war sie schon so lange mit Diane zusammen, dass sie das Gästehäuschen praktisch vergessen hatte. Ihre Sachen hatte sie allesamt schon vor Wochen mitgenommen – nicht einmal eine Zahnbürste war noch da –, und verglichen mit Dianes Haus musste sie jetzt mit einer kargen Hütte vorliebnehmen. Die riesige, menschenleere Villa zeichnete sich dunkel vor dem Horizont ab, wirkte steril und unheimlich zugleich. Drüben in Los Feliz pulsierte das Leben, waren Leute mit ihren Hunden unterwegs, bevölkerten den Parkplatz vor dem Trader Joe’s, saßen unter den Sonnenschirmen vor dem Alcove Café, tranken Eistee und amüsierten sich. All das fehlte ihr, und am meisten fehlte ihr Diane. In dem Gästehäuschen fühlte sie sich einsam und verlassen. Wie im Exil.
    Zwei Tage später vertrugen sie sich wieder. Anne gelang es, doch noch ein paar positive Worte über das Skript zu verlieren, und Diane räumte ein, dass sie tatsächlich besser darin war, andere Schreiber anzutreiben, als selbst etwas aufs Papier zu bringen. Sie tranken eine Flasche Wein, gingen zusammen ins Bett und entdeckten von Neuem ihre Zärtlichkeit füreinander. Der Streit hatte Klarheit in ihre Beziehung gebracht: Nun wussten sie, wie wichtig sie sichwaren, und plötzlich hatte alles zwischen ihnen mehr Kraft, Tiefe und Geheimnis.
    Diane verabschiedete sich von ihrem Drehbuchprojekt. Kurz darauf bekam sie einen Job bei einer unabhängigen Produktionsfirma, und sie flogen übers Wochenende nach Palm Springs, um zu feiern. Als eines Abends eine Bekannte von Diane an ihren Restauranttisch kam, um Hallo zu sagen, sagte Diane, «Das ist meine Freundin», und Anne wurde klar, dass sie es
wirklich
war. Wobei sie nicht verblüffte, dass sie nun fest mit einer Frau zusammen war, sondern wie wohl sie sich dabei fühlte.

    Die Dreharbeiten endeten eine Woche später, und nun begann die lange Pause, während derer der Pilot geschnitten und dem Sender präsentiert wurde. Unterdessen wurde Anne zu dem, was Diane «eine gefangene Frau» nannte. Sie hatte einen Vertrag, der ihr untersagte, für andere Produktionen zu arbeiten, bis entschieden war, ob die Serie realisiert werden würde. Stattdessen arbeitete sie an ihrer Beziehung zu Diane. Jeden Tag fragte sie, wie es bei der Arbeit gewesen war, nach den üblichen Bagatellen und Querelen. Was Diane von ihrem Job erzählte, war

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