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In einer anderen Haut

In einer anderen Haut

Titel: In einer anderen Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alix Ohlin
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sie.
    «War mir ein Vergnügen», sagte er, obwohl sie sich noch nicht einmal bei ihm bedankt hatte. «Details waren schon immer meine Stärke.»
    Als die Dreharbeiten begannen, sah Diane gelegentlich am Set vorbei. Die ersten Szenen wurden abends gedreht, auf knochentrockenen Straßen, die vorher mit Wasser abgespritzt worden waren,damit sie wie regennasse New Yorker Avenues aussahen. Beim Theater hatte sie immer die Proben geliebt, war dieselben Zeilen wieder und wieder durchgegangen, hatte ständig neue Nuancen entdeckt; zuweilen hatten sie und die anderen Schauspieler stundenlang über Betonungen und Ausdrucksformen diskutiert, über den Sinn bestimmter Zeilen, ja sogar einzelner Worte gestritten. Aber die Proben beim Fernsehen liefen völlig anders. Die Abläufe waren so festgelegt, dass sich niemand darum scherte, was sie sagte oder wie sie es sagte; stattdessen ging es pausenlos nur um Kameraeinstellungen, darum, wie sie vor einem Baum oder einem Stoppschild aussah. Wieder und wieder musste sie aus einem Gebäude auf die Straße treten und verwirrt dreinblicken. Erster Schritt, zweiter Schritt, dritter Schritt, verwirrt dreinblicken. Fünf Stunden lang ging das so, dann war Pause.
    Sie spielte eine Studentin, deren Vater aufgrund einer Verwechslung von fiesen Agenten getötet worden war; um die Mörder zu finden, hatte sie sich selbst zur Agentin ausbilden lassen. Zur Tarnung arbeitete sie als Fotografin, was es ihr ermöglichte, an alle möglichen exotischen Orte zu reisen – mit einer Kamera um den Hals, die Brüste von den Gurten eingerahmt –, durch die Gegend zu laufen und mit Schmollmund in die Ferne zu blicken. In jeder Episode sollte es um einen anderen «Foto-Auftrag» gehen, wobei sie für gewöhnlich einen heißen Flirt mit einem Mann hatte, der sich entweder als Übeltäter entpuppte oder, wenn er zu den Guten gehörte, ums Leben kam.
    Nachdem sie nun in seinem Pilotfilm spielte, hatte Adam kein Interesse mehr an ihrem Körper. Ebenso wenig wie der Regisseur, ein glücklich verheirateter Vater dreier Kinder, mit denen er des Öfteren während der Drehpausen spielte. Die Einzigen, die ihrem Körper Aufmerksamkeit schenkten, waren die Hairstylisten und Maskenbildner, bei denen es sich entweder um Frauen oder um schwule Männer handelte. Zwar lief sie keine Gefahr, angebaggert zu werden, aber es war gleichzeitig völlig unerotisch. Anne brauchtedieses gewisse Knistern – das Funkeln in den Augen des anderen, das Gleichgewicht der Pheromone –, doch nun war die Kamera ihr einziger Partner, und sie fühlte sich wie im luftleeren Raum, geschlechtslos und unbegehrt. Zuweilen leierte sie ihren Text derart leblos herunter, dass sie es selbst kaum glauben konnte; hätte ein anderer Schauspieler derartigen Mist abgeliefert, wäre sie wahrscheinlich vor Scham im Boden versunken. Aber niemand bemerkte es, oder vielleicht war es ihnen auch einfach egal.
    Die Drehzeiten waren unregelmäßig und völlig verrückt. Manchmal kam sie erst spätnachts ins Bett, manchmal musste sie schon morgens um fünf am Set sein. An manchen Tagen bekam sie Diane so gut wie gar nicht zu sehen, und häufig entspannte sie sich den Nachmittag über auf der Wohnzimmercouch und machte ihre Nägel, während Diane genervt an ihrem Skript zu arbeiten versuchte. Und als Anne sie wieder einmal zu besänftigen versuchte – ihre bevorzugte Strategie war Sex –, stieß Diane sie weg und seufzte: «Es geht nicht immer bloß darum, Annie. Ich will, dass du mich unterstützt.»
    «Wie denn?»
    «Lies doch mal mein Drehbuch und sag mir, wie du es findest.»
    «Aber ich habe keine Ahnung von Charakterentwicklung und so was», sagte Anne. «Ich bin bloß eine Puppe.» Sie schwenkte die Arme, als würden sie von unsichtbaren Fäden gehalten. «Eine Marionette.»
    «Du willst dir bloß nicht die Mühe machen», erwiderte Diane.
    Anne wollte protestieren, aber sie wussten beide, dass es die Wahrheit war. «Ich lese eben nicht so viel.»
    «Es ist doch bloß ein
Drehbuch
. Und du bist Schauspielerin. Jetzt hab dich nicht so.»
    Also las Anne das Skript – und fand es schrecklich. Die so kluge, gebildete Diane erwies sich als durch und durch unbegabte, umständliche, grottenschlechte Autorin. Sie war Produzentin, aber mit Worten konnte sie beim besten Willen nicht umgehen. Die Dialogewaren sterbenslangweilig und die Figuren unsympathisch und uninteressant. Das Skript versammelte alle Klischees eines Kommerzfilms, ohne dabei das kleinste bisschen

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