In einer anderen Haut
lächelnd, würde sie nicht mal nach L. A. zurückfliegen.
Erst gegen Mitternacht kehrte sie ins Hotel zurück, warf eine Decke über den blinkenden roten Nachrichtenknopf des Telefons und ging schlafen. Am Morgen nahm sie ein Taxi nach Tribeca, wo das Shooting stattfand. Die zuständige PR-Frau hielt ihr eine halbherzige Predigt, weil sie zu spät gekommen war, war aber offensichtlich an Unpünktlichkeit gewöhnt. Dann wurde sie in allen möglichen Outfits fotografiert – als Agentin, Managerin, Krankenschwester und Präsidentin der Vereinigten Staaten, auch wenn Letztere viel zu jung und ein bisschen schlampenmäßig rüberkam.
Das Scheinwerferlicht brannte heiß auf ihrem Gesicht, während um sie herum lautstark Anweisungen gegeben wurden und eineAssistentin des Fotografen ihr Dekolleté mit einer öligen Lotion einrieb und mit glitzerndem Puder bestäubte.
Inmitten des Tohuwabohus erspähte sie plötzlich Adam, der hinten an einer Wand lehnte und sie mit trägem Besitzerblick fixierte. Eine Stunde später stand er neben ihr, als sie sich gerade abschminkte. Sie blickte durch die stacheligen falschen Wimpern, die sich geradezu exoskeletal anfühlten, zu ihm auf. Außerhalb von L.A. wirkte sein Gehabe sogar noch lächerlicher, seine Bräune völlig fehl am Platz, und seine blitzend weißen Zähne sahen plastikmäßig und wie aus dem Katalog aus.
«Echt heiße Nummer», sagte er. «Um dich braucht man sich wirklich keine Sorgen zu machen.»
«Was machst du hier?»
«Die Serie wird abgesetzt», sagte er. «Die Quoten stimmen nicht.»
Seine Miene spiegelte weder Besorgnis noch Beschwichtigung wider – nicht einmal die Bereitschaft, in irgendeiner Weise auf sie einzugehen –, sondern nichts als komplette Gleichgültigkeit.
Und versuch bloß nicht, mir den Schwarzen Peter zuzuschieben
, schien er sagen zu wollen.
Der Rest ist deine Sache
.
«Das war’s also?», sagte sie.
Er legte eine Hand auf ihre nackte Schulter. «Eigentlich hätte ich das Shooting absagen sollen, aber diesem kleinen Arsch von der Zeitschrift wollte ich’s schon seit Jahren heimzahlen. Tja, jetzt muss er die Kosten schlucken. Ich freue mich, dass du doch noch aufgetaucht bist. Ich dachte, du wärst vielleicht mit einer anderen Muschi zugange.»
«So was würde ich nie machen», gab Anne mechanisch zurück. Sie schlüpfte aus dem Nadelstreifen-Minirock und zog ihre Jeans an.
«Nein, du bist ein ganz braves Mädchen», sagte Adam. «Viel Glück.»
Sie fuhr zurück ins Hotel. Ihr Zimmer war frisch hergerichtet; ihre Sachen lagen zusammengefaltet auf dem Bett, und die benutzten Toilettenartikel im Bad waren durch neue ersetzt worden. Sie legte sich erst einmal in die Wanne, bis ihre Haut ganz schrumpelig war. Ein paar Sekunden später piepte ihr Handy. Sie hatte zwei Nachrichten. Die erste war von Julia, die sich anhörte, als würde sie mühsam ihre Tränen unterdrücken. Das seien ja schlimme Neuigkeiten, sagte sie, aber so mies sich Anne augenblicklich auch fühlen mochte, sie solle sich nicht unterkriegen lassen. Anne war überrascht, wie viel Mitgefühl in ihrer Stimme mitschwang. Die zweite Nachricht stammte von Hilary – hier bestand kein Zweifel, dass sie weinte –, die Anne anflehte, sie bitte zurückzurufen.
Sie löschte Julias Nachricht und hörte sich Hilarys noch einmal an. Im Hintergrund hörte sie das Baby plärren, und sie musste an das Baby denken, das sie auf der Straße vor ihrem Apartment so neugierig und ohne jede Angst angesehen hatte. Hilarys Baby hingegen wuchs in irgendeinem Kaff auf, das Anne sich nicht vorstellen konnte und auch nie zu Gesicht bekommen würde.
Plötzlich kamen ihr ebenfalls die Tränen; sie wurde geschüttelt von kurzen, trockenen Schluchzern. Und sie hatte weder jemanden, bei dem sie sich hätte ausweinen, noch etwas, wovor sie hätte wegrennen können. Wie hatte Neal es ausgedrückt – wenn du nie irgendetwas hinterhertrauerst, bedeutet das dann nicht, dass nichts in deinem Leben irgendeinen Wert hat?
Sie war am Ende ihrer Kräfte.
Eine geschlagene Stunde saß sie so in dem dunklen, unpersönlichen Zimmer. Sie war völlig niedergeschmettert. Am Boden zerstört.
Okay, dachte sie schließlich. Okay.
Ihr kalifornisches Abenteuer war also ein für alle Mal vorbei. Sie rief ihren Vermieter in L. A. an, kündigte ihren Mietvertrag und bat ihn, die wenigen Sachen, die sich noch dort befanden, zu verkaufen. Dann beschloss sie, etwas Gutes zu tun. Sie kramte in ihrer Handtascheund stellte
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