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In einer anderen Haut

In einer anderen Haut

Titel: In einer anderen Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alix Ohlin
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Als der Junge abermals versuchte sich von ihm loszureißen, verdrehte Mitch ihm den Arm und hörte – über die Rufe der anderen Zoobesucher und das aufgebrachte Schnattern der Affen hinweg – das leise Knacken, mit dem der Oberarmkopf aus der Gelenkpfanne sprang.
    Mathieus hübsches Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, während gleichzeitig alle Farbe aus ihm wich. Dann wurde er ohnmächtig.

    Im Krankenhaus renkten sie Mathieus Arm wieder ein und bandagierten Martines verstauchten Knöchel. Obwohl es sich um relativ harmlose Verletzungen handelte, dauerte das Ganze eine kleine Ewigkeit, und Martine weigerte sich, Mathieu mit Mitch allein zu lassen, der sich immer wieder entschuldigte, es sei ein Unfall gewesen.
    Aber sie schüttelte nur den Kopf, als versuchte sie, ihre Ohren frei zu bekommen, und schwieg. Sie bat ihn, nicht zu gehen, und schließlich begriff er auch, warum. Wegen ihres verstauchten rechten Knöchels konnte sie nicht allein nach Hause fahren. Tja, Martine war schon immer sehr pragmatisch veranlagt gewesen. Als sie vor ihrem Haus hielten, sagte sie, es sei wohl besser, wenn sie den Abend getrennt verbringen würden, und er machte sich zu Fuß nach Hause auf, während eisiger Regen aufkam, der unablässig auf ihn niederprasselte.

    Obwohl er sich am nächsten Tag erneut entschuldigte und schwor, dass so etwas nie wieder vorkommen würde, war auf einen Schlag alles anders. Erste Risse zeigten sich an der Oberfläche ihrer Beziehung, die vom ersten Tag an fragil gewesen war. Und es sollte noch schlimmer kommen.
    Am nächsten Wochenende ging er bei ihnen vorbei, um für sie zu kochen. Er hatte Martine nicht gesehen, aber mit ihr am Telefon gesprochen – zähe, von langen Pausen durchsetzte Gespräche, die sie auf die Schmerzmittel schob, die sie wegen ihres Knöchels einnehmen musste. Als er klingelte, kam Mathieu an die Tür. Mitch hatte den Jungen größer, stärker, ja, dämonischer in Erinnerung, und es traf ihn wie ein Schock, als er sah, wie zerbrechlich und kindlich der Junge war.
    «Hey», sagte er.
    «Je peux faire un ruban de Möbius. Venez voir»
, sagte Mathieu, wandte sich um und ging in sein Zimmer, als wäre nie irgendetwas vorgefallen. Mitch sah zu, wie er das Papierband hin und her drehte, und lauschte eine Weile seinen mit hoher, atemloser Stimme vorgetragenen Ausführungen, ehe er sagte: «Lass mich mal kurz deine Mutter begrüßen.» Mathieu antwortete nicht, hielt jedoch in seinem Vortrag inne, während seine kleinen Hände das Band immer noch drehten.
    Martine war in der Küche und, ihrem violetten Lächeln nach zu urteilen, bereits beim dritten oder vierten Glas Rotwein. Sie winkte ihm achtlos zu und fuhr fort, den Tisch zu decken. Als er sich zu ihr beugte, um sie auf die Wange zu küssen, stieß sie sich die Hüfte an einem Stuhl. «Oh, scheiße», sagte sie.
    So viel zu ihrer Begrüßung.
    Er bat sie, sich zu setzen, während er die Spaghetti Bolognese zubereitete, und sie erzählte von ihren Folgebesuchen beim Arzt, amüsierte sich über die lustigen Bemerkungen, die Mathieu über ihren verstauchten Knöchel gemacht hatte – ihre untypische Ausgelassenheit war besorgniserregend, und als sie Mathieu zu Tisch rief, verfiel er in Schweigen. Während des Abendessens zog sie dieselbe Schau ab, neckte Mathieu und zerzauste sein Haar, bis er sie mit ernster Stimme bat, damit aufzuhören. Fünf Bissen später fragte er, ob er aufstehen dürfe, und sie ließ ihn gehen. Sie aß auch nicht sehr viel.
    Während Mitch sich um den Abwasch kümmerte, bereitete er sich in Gedanken aufs Gehen vor. Der bevorstehende Abschied lastete schwer auf seiner Seele. Er war sicher, dass er die kleine, gemütliche Küche mit den tomatenroten Wänden nie wiedersehen würde, ebenso wenig wie Martines Handschrift auf den Zetteln, die am Kühlschrank hingen, oder Mathieus Wissenschaftsbücher, die nebeneinander auf dem Küchentresen aufgereiht waren.
    Martine hatte sich ins Schlafzimmer zurückgezogen, und als er hereinkam, um ihr gute Nacht zu sagen, küsste sie ihn. Ihre Lippenwaren violett vom Rotwein, aber er schmeckte das Salz von Tränen. Sie zog ihn auf sich, schob die Hände unter seinen Pullover und schlang ihr unverletztes Bein um seine Hüfte. In all der Zeit, die sie zusammen gewesen waren, hatte sie nur sehr selten die Initiative ergriffen, nie solch pulsierende Lust, solche Verzweiflung offenbart. Dann hatte sie ihm auch schon Pullover und Hemd ausgezogen und wollte sich aus ihren eigenen

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