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In einer anderen Haut

In einer anderen Haut

Titel: In einer anderen Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alix Ohlin
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Sachen kämpfen, doch verhakte sie sich mit dem Ellbogen in ihrer Strickjacke und schlug ihm dabei die Brille von der Nase.
    «Fick mich», sagte sie. Sie weinte immer noch.
    «Martine, Liebste.» Mitch küsste ihre tränenfeuchte Wange.
    Ohne Rhythmus, ohne Kraft glitt er in sie hinein, unfähig, mit den ruckartigen, zuckenden Bewegungen ihrer Hüften in Einklang zu kommen. Sie schluchzte heftig, und so zog er sich aus ihr heraus und legte die Arme um sie. Er wusste nicht, was er sonst tun sollte. Es war, als würde sich die Martine, die er kannte, unter ihm auflösen. Kurz darauf lag sie neben ihm, rollte sich zusammen, die Knie bis ans Kinn gezogen. Er versuchte sie zu trösten, murmelte ihr sanfte, sinnlose Laute ins Ohr, als er plötzlich ein leises Geräusch hinter sich hörte. Er wandte den Kopf und erblickte Mathieus Silhouette im Türrahmen.
    Der Junge starrte ihn mit großen blauen, angsterfüllten Augen an. Mitch stockte der Atem. Er wartete darauf, dass Mathieu ausflippen würde, doch der Junge stand einfach nur da, ohne den Blick auch nur einen Sekundenbruchteil abzuwenden, nicht einmal, um den zitternden Körper seiner Mutter in Augenschein zu nehmen. Dann machte er kehrt und trottete durch den Flur in sein Zimmer zurück.
    Martine flüsterte leise vor sich hin; es war, als würde sie mit ihren Knien sprechen. Er rückte näher, schmiegte sich beschützend an sie wie eine zweite Haut. Erst als er seine Wange an die ihre legte, verstand er, was sie sagte. Er hatte gedacht, sie würde mit sich selbst sprechen, aber jetzt hörte er, dass sie Englisch sprach und ihre Worte an ihn gerichtet waren.
    «Bitte verlass mich nicht», sagte sie.
    Es war das Letzte, was er erwartet hätte. Was sollte er tun? Während ihre Tränen trockneten, schmiegte er sich noch enger an sie. Er blieb bei ihr. Er sagte, er würde sie nie verlassen.

    Hätte er doch nur für immer so mit ihr verweilen können in diesem Augenblick der Ruhe. Aber so funktionierte das Leben nicht; es bestand aus Arbeit und Kochen und Erziehung, und Martine erfüllte ihre Pflichten mit geradezu soldatischer Disziplin. Er bemühte sich nach Kräften, ihr zu helfen, doch irgendetwas zwischen ihnen hatte sich verändert. Ein Damm war gebrochen, und erst jetzt begriff er, dass sie ihn deshalb so lange auf Abstand gehalten hatte, weil sich hinter diesem Damm ein tosender Strudel befand, der sie beide mit in den Abgrund reißen konnte. Sie brauchte ihn. Sie begann, ihn jeden Abend nach zehn anzurufen, wenn Mathieu eingeschlafen war, erzählte ihm davon, was sie tagsüber erlebt hatte. Er freute sich darüber, aber wenn sie einmal dran war, wollte sie nicht mehr auflegen. Und schließlich ging ihm auf, dass sie mit dem Telefon an der Wange einschlafen wollte, während er beruhigende Worte durch die Leitung murmelte. Kurze Zeit später schlief er mittwochs und donnerstags bei ihr und flüsterte ihr seine Beschwichtigungen persönlich ins Ohr.
    Sie bekam nie wieder einen Weinkrampf, doch manchmal wachte er auf, wenn sie mitten in der Nacht ins Bad ging, und jedes Mal sah er im matten Licht des Schlafzimmers Tränenspuren auf ihren Wangen glitzern, wenn sie zurückkam. Die Vorstellung, dass sie im Schlaf weinte, brach ihm das Herz.
    Bald darauf verbrachte er seine gesamte Zeit in ihrem Apartment, während seine eigene Wohnung zu verstauben begann.
    Sie sprachen über alles und jedes, diskutierten ständig die verschiedensten Dinge aus. Sie redeten über das, was im Zoo passiert war, wie wütend sie auf ihn und Mathieu gewesen war, wie sehr ihn ihr Zorn bedrückt hatte, wie sehr er den Vorfall bereute, wie leid ihm das Ganze immer noch tat. Sie sagte, alles sei verziehen. Es schien, als müsse er ihr nur zuhören, um weiter in ihrer Gunst zu stehen. Martine konnte stundenlang darüber reden, wie schwierig es mit Mathieu war, konnte seine Worte, seine Gesten und seinen Stuhlgang bis ins kleinste Detail examinieren. Nach der ersten dieser Sitzungen schlang sie die Arme um ihn und bedankte sich.
    «Wofür?», fragte er.
    «Fürs Zuhören. Dafür, dass du für mich da bist. Ich brauche dich so sehr.»
    Es waren genau die Worte, nach denen er sich so lange gesehnt hatte; doch nun, als er sie hörte, hatten sie nicht die erwartete Wirkung. Was mit Mathieu zu tun hatte. Mitch hätte es Martine gegenüber nie zugegeben, aber er kam nicht darüber hinweg, dass er an jenem Nachmittag im Zoo so außer sich vor Wut gewesen war, dass er Mathieu um ein Haar zu Boden geschlagen

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