In einer anderen Haut
Hilary und Alanihr erzählt hatten. «Ich habe sie in den Armen gehalten und zu beruhigen versucht. Ihre kleinen Herzen haben wie verrückt geschlagen. Sie sind sofort weggelaufen, sobald ich kam. Aber ich habe sie immer gefangen. Ich habe sie an den Beinen kopfüber gehalten, sodass ihnen das Blut in den Kopf schoss. Und dann haben wir sie getötet.»
«So was könnte ich nie tun», sagte Elizabeth.
Anne zuckte mit den Schultern. «Man gewöhnt sich dran.»
Edinburgh war grau, gotisch und voller Schauspieler. Sie hatte keine Ahnung von der Größe des Festivals gehabt; die Straßen wurden verstopft von Menschenhorden, die Flyer für Aufführungen verteilten und Hauswände mit Plakaten vollpflasterten. Es gab norwegische Tänzer, japanische Performer, Aufführungen in Kirchen und an Straßenecken; es wimmelte nur so von Schauspielern, und Gott allein wusste, ob überhaupt genug Publikum für die endlose Zahl von Inszenierungen zugegen war. Am Abend drang der Lärm von der Straße durch die Hotelwände, und Anne, die ohnehin mit ihrer Aufregung zu kämpfen hatte, bekam fast kein Auge zu.
Morgens gab es eine kurze Generalprobe im Hinterraum des Pubs, in dem die Aufführung stattfinden sollte. Das Wetter war hier auch im August ausgesprochen kühl und der Raum ungeheizt, sodass sie sich mehr oder weniger durch die Proben schlotterte. Die meisten anderen Schauspieler hatten das Stück bereits einen guten Monat lang in Soho aufgeführt, und sie fühlte sich völlig fehl am Platz, wie eine dissonante Note in einer Melodie, die diese, ohne sie zu singenn gelernt hatten. Ihre Unsicherheit machte sie nervös, und ihre Nervosität machte sie noch unsicherer.
Es schien ihr, als würden die anderen dem Regisseur stirnrunzelnde Blicke zuwerfen, und als Mittagspause war, ließ Elizabeth sielinks liegen und dampfte mit dem männlichen Hauptdarsteller, einem gewissen Tony, ab. Anne ging zurück ins Hotel und vergoss ein paar Tränen der Wut und Verzweiflung. Dann wischte sie sich die Augen und arbeitete eine Stunde lang an ihrem Text.
Obwohl es erst früher Nachmittag war, kam es ihr vor, als sei bereits der Abend angebrochen; da sie die Nacht zuvor so gut wie nicht geschlafen hatte, fühlte sie sich völlig erschöpft und bereute, überhaupt hierhergekommen zu sein. Ihre Nerven lagen blank. Sie verfluchte den Regisseur, weil er ihr keinen Rückhalt gegeben hatte, und die Schlange Elizabeth, die sie schon vor der Premiere fallen gelassen hatte. Sie hatte ihnen einen Gefallen getan, aber Dankbarkeit konnte sie offenbar nicht erwarten.
Ihre Wut half ihr, sich wieder in den Griff zu bekommen und sich auf ihre Rolle zu konzentrieren, aber sie war immer noch sauer. Sie musste sich entspannen, ehe die Aufführung begann. Sie ging durch die Straßen und hielt Ausschau nach einer Sauna oder einem Yoga-Zentrum, doch da sie nichts dergleichen finden konnte, beschloss sie, die nächste nette Bar aufzusuchen. Sie setzte sich an den Tresen, rief sich die alte Regel in Erinnerung, dass man es wie die Einheimischen machen sollte, und bestellte einen Scotch. Als der Barkeeper sie fragte, was für einen Scotch sie wollte, zuckte sie hilflos mit den Schultern. «Da verlasse ich mich ganz auf Sie», sagte sie.
Er lächelte und schenkte ihr ein Glas ein. Der Whiskey hatte ein dunkles, rauchiges Aroma. Am anderen Ende der Bar kippten sich ein paar junge Amerikaner ein Bier nach dem anderen hinter die Binde, ohne Notiz von ihr zu nehmen. Anne seufzte und nahm einen weiteren Schluck, als ein Mann auf den Hocker neben ihr glitt und ebenfalls einen Drink bestellte. Nach und nach trudelten noch mehr Leute ein. Zwischendurch ging sie aufs Klo, und als sie zurückkam, bemerkte sie, dass sich ein paar Köpfe nach ihr umwandten.
«Kann ich dir noch einen ausgeben?», fragte der Mann neben ihr. Er war schlank, dunkelhaarig und trug eine Menge Ringe an den Fingern. Sein Akzent klang spanisch oder portugiesisch.
«Okay», sagte sie. «Aber nur einen.»
Als der nächste Scotch vor ihr stand, hob sie dankend das Glas, und er lächelte und deutete auf seine Brust. «Sergio.»
«Millicent», sagte sie.
«Milly? Das ist aber ein hübscher Name.»
«Na ja, wenn du meinst.» Sie verdrehte die Augen. Im Grunde hatte sie bereits bekommen, wonach sie sich sehnte – einen flüchtigen Moment der Aufmerksamkeit, eine Bestätigung ihres Daseins in der Welt. Sie glitt von ihrem Barhocker.
Sergio berührte sanft ihre Hand. «Tut mir leid, falls ich was Falsches
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