In einer anderen Haut
fassen. Dann hörte er, wie sich die Tür öffnete und noch jemand hereinkam; da er die Schuhe erkannte, wusste er, dass es der Therapeut war. Der Mann eilte in die Kabine neben ihm und übergab sich in die Kloschüssel.
Tug sagte den nächsten Termin ab, da er dem Therapeuten nach all den schrecklichen Einzelheiten eine Pause gönnen wollte; dann beschloss er, die nächste Sitzung ebenfalls ausfallen zu lassen, und danach fiel es ihm umso leichter, überhaupt nicht mehr hinzugehen.
Marcie drängte ihn, zu Hause zu bleiben und sich zu entspannen – niemand hatte sich eine Auszeit mehr verdient als er, sagte sie –, doch das machte ihn nur unruhig. Sie hatte Urlaub beantragt und wollte irgendwo mit ihm hinfahren, vielleicht ein paar Tage am Strand verbringen, aber er sagte, dass er nicht verreisen wollte. Keine Flugzeuge, keine Highways, keine Panoramaausblicke, keine neuen Erfahrungen. Er wollte das Gegenteil der Adrenalinschübe, die ihn sonst bei seiner Arbeit im Ausland beflügelt hatten. Es reichte ihm völlig, sich auf langen Spaziergängen durch die Stadt müde zu laufen, die breiten Straßen, die friedlichen Avenues, die geruchsfreie Luft zu genießen. Selbst die betriebsamsten Viertel schienen eine himmlische Ruhe auszustrahlen.
Der Therapeut hatte ihm geraten, seine Albträume niederzuschreiben, wenn er nicht schlafen konnte. Und als er sich ein paar Tage später in einem Schreibwarenladen nach einem passenden Notizbuch umsah, hörte er, wie sich einer der Verkäufer mit seiner Chefin wegen der Arbeitszeiten und Überstunden stritt. Der Verkäufer fegte ein Display mit Kugelschreibern von einem Tisch – es hörte sich an, als würde ein Sack voller Kiesel ausgeleert –, verkündete, dass er fristlos kündigen würde, und verließ den Laden. Tug half derChefin, die Kugelschreiber wieder einzusammeln, während sie sich über die Unzuverlässigkeit ihres Kollegen beschwerte, und ehe Tug sichs versah, hatte sie ihm den Job angeboten.
Die Arbeit in dem Schreibwarenladen war ganz nach seinem Geschmack. Es gab immer etwas, das erledigt werden musste; Neubestellungen, Kundenfragen, Abrechnungen, all das waren dankbare Aufgaben, die sich wie im Schlaf erledigen ließen. Wenn jemandem sein neues Notizbuch nicht gefiel, konnte er es jederzeit umtauschen. Er amüsierte sich darüber, dass manche Leute allen Ernstes 300 Dollar für einen Federhalter ausgaben. Er erfuhr mehr über säurefreies Papier, als er je für möglich gehalten hätte. Acht Stunden verflogen wie im Nu, und wenn er schließlich nach Hause fuhr, hatte er das Gefühl, einen fast erträglichen Tag verlebt zu haben.
Marcie verstand nicht, warum er in dem Schreibwarenladen angefangen hatte, stand aber ganz und gar hinter seiner Entscheidung. So war sie eben, stets auf seiner Seite, stets um ihn besorgt. Sie versuchte, ihm Aufmerksamkeit zu schenken, wenn er sie brauchte, und ihn nicht zu behelligen, wenn er für sich sein wollte. Mit anderen Worten: Sie versuchte, das Unmögliche möglich zu machen, und genau deshalb scheiterte sie auch.
Wenn Tug nach Hause kam, begann er zu trinken. Es schien ihm die beste Möglichkeit, die Zeit zwischen Dienstschluss und Schlafengehen zu überstehen; es waren endlose Stunden, die einfach nicht vergehen wollten. Bald darauf lud Marcie keine Freunde mehr zu ihnen ein, aus Angst, er könne plötzlich einnicken oder sich in der Spüle übergeben. Einmal ergriff er die Hand ihrer Schwester, führte sie an den Mund und leckte an ihren Fingern. Hinterher hatte er keine Erklärung dafür; offen gestanden, konnte er sich nicht einmal richtig daran erinnern. Wenn sie über die Dinge sprachen, die ihm im Suff passierten, kam es ihm stets vor, als würden sie über eine völlig andere Person reden. Er teilte Marcies Sorge, ihre Abscheu, schüttelte ebenfalls fassungslos den Kopf und wünschte,dass sich dieser verdammte Kerl, der andere Tug, endlich zusammenreißen und die Kurve kriegen würde.
Und es wurde noch schlimmer – als er nicht mehr mit Marcie redete, ohne es überhaupt zu bemerken. Immer häufiger nahm er sie überhaupt nicht mehr wahr, selbst wenn sie sich im selben Raum wie er aufhielt. Eines späten Abends sah er sich ein Eishockeyspiel im Fernsehen an, eine Flasche Canadian Club neben sich, als sie herunterkam und ihn bat, den Ton ein bisschen leiser zu stellen. Er ignorierte sie nicht absichtlich; er registrierte ihre Anwesenheit einfach nicht, bis sie die Fernbedienung nahm und den Fernseher
Weitere Kostenlose Bücher