In einer anderen Welt (German Edition)
wiedergegeben wird, was sie eigentlich gesagt hätten.
Caliban ... tja, was ist Caliban? Beim Lesen dachte ich, er wäre eine Fee, ein sonderbarer, mit Warzen bedeckter Fisch. Aber nachdem ich das Stück jetzt gesehen habe, bin ich nachdenklich geworden. Seine Mutter Sycorax war eine Hexe. Über seinen Vater wissen wir nichts. Sycorax bekommen wir gar nicht zu sehen. War Prospero sein Vater? Ist Miranda seine Halbschwester? Oder war er, wie er sagt, schon da, als sie die Insel erreicht haben, um sie willkommen zu heißen und zum Diener gemacht zu werden? Er will Miranda vergewaltigen (»Ich hätte sonst die Insel mit Calibans bevölkert«), aber das macht ihn nicht zwingend zu einem Menschen, und seine Mutter genauso wenig. Er könnte ein Mensch sein, oder jedenfalls halb, er ist auf eine Art und Weise angreifbar, wie es die Feen nicht sind. Gestern Abend wurde viel geschlagen und gekatzbuckelt. Von diesem speziellen Caliban, von (ich habe das Programmheft) Peter Lewis’ Caliban glaube ich, dass er zwischen den Welten existierte. Er wusste nicht, wo er hingehörte.
Shakespeare muss einige Feen gekannt haben. Ich weiß, dass ich das auch über Tolkien gesagt habe, und das glaube ich immer noch. Ich glaube es von vielen Leuten.
Was ich an Shakespeare so liebe, ist seine Sprache. Auf der Heimfahrt im Bus war ich noch ganz berauscht und musste Deirdre bitten, alles, was sie gesagt hatte, zu wiederholen, weil ich es beim ersten Mal nicht mitbekam. Ich weiß nicht, wie sie die Aufführung fand. Wir haben uns darüber unterhalten, wie Miranda und Ferdinand nach ihrer Hochzeit zusammenleben würden und wie Miranda mit Italien zurechtkommen würde, nachdem sie ihre Insel verlassen hatte. Käme es ihr auf Dauer immer noch vor wie eine schöne neue Welt? Deirdre glaubt ja, solange sie verliebt war. Aber das muss man sich mal vorstellen – mit einer ganzen Welt konfrontiert zu werden, wenn man bisher nur drei Menschen gekannt hat, von denen zwei eigentlich gar keine richtigen Menschen sind und einer der unnahbare Prospero! Plötzlich muss man mit der Mode klarkommen, mit Dienern und Höflingen! Deirdre fand es äußerst grausam, dass Prospero sie nicht darauf vorbereitet hat. Aber vielleicht wäre es noch grausamer gewesen, sie Magie zu lehren.
Prospero zerbricht seinen Stab und ertränkt seine Bücher, weil man Magie nicht nach Hause mitbringen kann. Hätte er es doch getan, wäre er dann wie Saruman geworden? Führt Macht zwangsläufig zu Gewissenlosigkeit? Es wäre nett, wenn ich ein paar Leute kennen würde, die Magie wirken und nicht böse sind. Nun ja, da gibt es Glorfindel, aber ich bin mir nicht sicher, ob Feen zählen. Feen sind anders. Ein weiterer interessanter Kontrast zu Prospero ist Faust.
Von Daniel kam ein Brief: Meine Akupunktur-Termine sind für Donnerstag vereinbart und auch bezahlt, und er hat der Schule geschrieben und sie gebeten, mir freizugeben, und zehn Pfund für Fahrkarten und Vesper beigelegt. Sobald sich die Gelegenheit dazu bietet, werde ich die Hälfte davon als Notgroschen beiseitelegen.
Samstag, 26. Januar 1980
Ich hab es in die Bibliothek geschafft, aber Greg war nicht da. Diesen Samstag arbeitet er nicht. Ich habe meinen riesigen Bücherstapel zurückgebracht und abgeholt, was für mich bereitlag. Wenn ich mich doch nur mit jemandem verabredet hätte, aber das ging ja nicht, schließlich war ich am Dienstag nicht hier. Ich hatte gehofft, Greg anzutreffen und ihn fragen zu können, was für ein Thema nächsten Dienstag drankommt.
Dann bin ich zum Buchladen runtergeschlendert, aber auch da bin ich niemandem begegnet. Ich habe keine Bücher gekauft. Es nieselte, was ziemlich entmutigend war. Ich habe mich ins Café gesetzt, ein Honigbrötchen gegessen und gelesen, und hin und wieder habe ich aufgeblickt, um in den Regen hinauszustarren. Es heißt immer, das wäre wunderbares Wetter für Enten, aber die Wildenten auf dem Teich wirkten genauso unglücklich wie die Menschen. Immerhin, die Erpel bekommen allmählich ihre Frühlingsfarben. Vielleicht ist es ein Frühlingsregen. In den Totensümpfen wären sie bestimmt froh darüber, dachte ich bei mir. Für Deirdre und mich habe ich Honigbrötchen gekauft – auf Sharon brauche ich wirklich keine zu verschwenden, obwohl sie wieder mit mir redet.
Der Trödelladen hatte geöffnet, und ich habe die Bücher dort durchgeschaut, aber nichts Ansprechendes gefunden außer einer faltbaren Landkarte (aus Leinen, glaube ich) von Europa, auf der
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