In einer anderen Welt (German Edition)
hat. Daniel meinte, er glaube nicht, dass seine Schwestern ihm erlauben würden, über Ostern zu verreisen, aber er hat nichts dagegen, dass ich gehen wollte, und er übernimmt sogar die Kosten!
Manchmal denke ich, ich würde Daniel wirklich gerne vor seinen Schwestern retten. Er war gut zu mir, was wahrscheinlich auch seine Pflicht als Vater ist, aber warum sollte er das für mich empfinden? Ich würde ihn gerne retten, aber ich glaube nicht, dass ich das kann, und jeder Versuch käme einer Kriegserklärung an seine Schwestern gleich, wohingegen sie mich wahrscheinlich in Ruhe lassen, wenn ich mich nicht einmische. Ich muss mich jetzt vor allem um mich selbst kümmern. Sie werden ihm nicht erlauben, nach Glasgow zu fahren. Immerhin haben sie der Akupunktur zugestimmt und einer Mahlzeit in einem chinesischen Restaurant, aber das wohl auch nur, weil der gute alte Sam sich dafür starkgemacht hatte.
Mit der Rechnung haben sie uns zwei Glückskekse hingelegt. Auf meinem Zettel stand: »Noch ist nicht alles verloren.« Soll mich das vielleicht aufheitern? Klingt irgendwie wie der Vers in der Aeneis : Et haec olim meminisse iuvabit . »Vielleicht werden wir uns auch daran einmal gerne erinnern.« Im ersten Moment denkst du, wie furchtbar, und dann wird dir klar, dass es stimmt und eigentlich nichts Schlimmes ist. Daniels Spruch lautete: »Sie essen gerne chinesisch«, was sich nicht bestreiten lässt. »Sie sind ein schrecklicher Vater« wäre vielleicht ein wenig grausam gewesen.
Als wir wieder im Auto saßen und ich mit dem Gurt herumfuhrwerkte, musterte mich Daniel mit ernster Miene. »Die Akupunktur hat dir wirklich gutgetan, nicht wahr?«
»Ja«, erwiderte ich.
»Dann solltest du in den nächsten sechs Wochen wieder hingehen, wie er gesagt hat.«
»Okay.« Ich schaffte es endlich, mich anzuschnallen.
Daniel warf seine Zigarette aus dem Fenster. »Ich kann dich allerdings nicht jede Woche abholen und wieder zurückfahren. Manchmal vielleicht.«
Ich begriff sofort, dass sie es ihm nicht erlauben würden. Er legte den Gang ein und bog aus dem Parkplatz, und die ganze Zeit über sagte ich nichts, denn was hätte ich schon sagen sollen.
»Du könntest den Zug nehmen«, fuhr er schließlich fort.
»Den Zug?« Bestimmt klang ich äußerst skeptisch. »Es gibt nicht einmal einen Bahnhof. Einen Bus vielleicht.«
»In Gobowen gibt es einen Bahnhof. Als meine Schwestern nach Arlinghurst gingen, sind sie immer dorthin gefahren, und die Schule hat sie abgeholt. Damals haben alle den Zug genommen.«
»Bist du sicher, dass es den noch gibt?« Immerhin stand der Bahnhof nicht auf der langen Liste von Bummelzügen, die von Beeching geschlossen und von Flanders und Swann in »Slow Train« besungen worden waren, aber vielleicht hatten sie ihn trotzdem dichtgemacht.
»Er liegt auf der Strecke nach Nordwales, nach Welshpool und Barmouth und Dolgellau«, sagte Daniel. Dolgellau war der einzige Ort, von dem ich schon mal etwas gehört hatte, denn dort hatten Oma und Opa einmal einen alten Kaplan besucht, der dorthin gezogen war, bevor ich überhaupt geboren wurde. Nordwales ist fast schon ein anderes Land. Von Südwales führt keine direkte Verbindung dorthin, man muss über England fahren, jedenfalls mit dem Zug oder auf den besseren Straßen. Wahrscheinlich gibt es in den Bergen auch Straßen, aber da war ich noch nie, obwohl es mich interessiert.
»Na schön«, sagte ich. »Ich muss also mit dem Bus in den Ort fahren, mit einem anderen Bus nach Gobowen und von da mit dem Zug.«
»Hin und wieder werde ich dich abholen können«, sagte er und zündete sich die nächste Zigarette an. »Welcher Tag würde denn am besten passen?«
Ich dachte darüber nach. Auf keinen Fall dienstags, sonst käme ich möglicherweise nicht mehr rechtzeitig zum Buchclub. »Donnerstags«, sagte ich. »Am Donnerstagnachmittag habe ich nur Religion und zwei Stunden Mathe.«
»Wenn ich mir deine Noten so anschaue, ist Mathe das Fach, das du eher nicht verpassen solltest«, sagte Daniel, aber ihm war anzuhören, dass er innerlich lächelte.
»Ehrlich, es spielt überhaupt keine Rolle, ob ich da bin oder nicht. Es will mir einfach nicht in den Kopf. Was ich an Mathe weiß, ist aus Physik oder Chemie. Mathe könnten sie genauso gut auf Chinesisch unterrichten, ich kapier’s einfach nicht. Vermutlich fehlt der entsprechende Teil meines Gehirns. Und wenn ich darum bitte, mir etwas noch einmal zu erklären, verstehe ich es immer noch
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