Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einer anderen Welt (German Edition)

In einer anderen Welt (German Edition)

Titel: In einer anderen Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Walton
Vom Netzwerk:
Perspektive der alltäglichen Welt verstehen. Und in dieser Welt befinden wir uns jetzt. Die Bäume sind tot. Hier gibt es weit und breit keine Feen.«
    »Deshalb sind wir ja hier«, sagte ich.
    Wir kamen an einen Zaun, der aus drei dünnen Drähten bestand, der oberste mit Stacheln. Auf einem Schild, das daran hing, stand: Zutritt für Unbefugte verboten. Vorsicht vor den Wachhunden. Das Tor befand sich auf der anderen Seite des Geländes.
    »Sind da Hunde drin?«, fragte Mor. Sie hatte Angst vor Hunden, und Hunde wussten das. Mit mir spielten sie immer ganz fröhlich und ausgelassen, aber bei ihr sträubte sich ihnen das Nackenfell. Meine Mutter sagte, so könnten uns die Leute wenigstens auseinanderhalten. Womit sie recht gehabt hätte, wäre – und das war typisch für sie – diese Methode nicht so entsetzlich böse und außerdem furchtbar unpraktisch gewesen.
    »Nein«, sagte ich.
    »Woher willst du das wissen?«
    »Wenn wir jetzt umkehren, nachdem wir uns solche Mühe gemacht haben und schon so weit gekommen sind, war alles umsonst. Außerdem ist das eine Quest, und du kannst nicht einfach eine Quest aufgeben, weil du Angst vor Hunden hast. Ich weiß nicht, was die Feen dazu sagen würden. Denk doch mal, was Leute, die sich auf eine Quest begeben, alles erdulden müssen.« Ich wusste, dass ich mir umsonst den Mund fusselig redete. Während ich sprach, starrte ich mit zusammengekniffenen Augen in die aufziehende Finsternis. Mor umklammerte meine Hand noch fester. »Außerdem sind Hunde auch Tiere. Selbst ausgebildete Wachhunde würden das Wasser trinken, und dann würden sie sterben. Wenn es da wirklich Hunde gäbe, lägen wenigstens ein paar Hundekadaver neben dem Teich, und ich sehe keine. Die bluffen nur.«
    Wir krochen unter dem Zaum hindurch, wobei wir ihn abwechselnd hochhielten. Der stille Teich schien aus beschlagenem Zinn zu bestehen; die Flammen, die über den Schornsteinen zitterten, spiegelten sich darin. In den Fensteröffnungen der Fabrik brannte Licht – das Licht, bei dem die Nachtschicht arbeitete.
    Hier gab es keinerlei Vegetation mehr, nicht einmal tote Bäume. Klinker und Schlacke knirschten unter unseren Füßen, und wir mussten aufpassen, dass wir nicht umknickten. Offenbar gab es hier außer uns nichts Lebendiges. Die Fenster, die auf dem gegenüberliegenden Hügel wie Sterne leuchteten, schienen unfassbar weit weg zu sein. Eine Klassenkameradin von uns wohnte dort, und als wir sie einmal besucht hatten, war uns gleich der Geruch aufgefallen, selbst im Haus. Ihr Vater arbeitete in der Fabrik. Ob er jetzt wohl hier war?
    Am Rand des Teichs blieben wir stehen. Seine Oberfläche war spiegelglatt, nicht die kleinste Welle kräuselte sich am Ufer. Ich kramte in meiner Hosentasche nach der magischen Blume. »Hast du deine?«, fragte ich.
    »Sie ist ein bisschen zerdrückt«, erwiderte sie und fischte sie heraus. Ich betrachtete beide. Meine sah auch nicht viel besser aus. Da standen wir nun mitten auf dem verwüsteten Gelände an dem toten Teich, in der Hand ein paar Gauchheilblüten, die, so hatten uns die Feen erklärt, die Fabrik zerstören würden. Unser Plan war mir noch nie so kindisch und dumm erschienen.
    Mir fiel nichts Passendes ein, was ich hätte sagen können. »Also gut – un, dai, tri!«, flüsterte ich, und bei drei warfen wir die Blumen in den bleiernen Teich. Sie gingen unter, und im nächsten Moment war das Wasser wieder spiegelglatt. Nichts geschah. Dann bellte irgendwo weit weg ein Hund, und Mor drehte sich um und rannte los. Ich hetzte ihr nach.
    »Da ist gar nichts passiert«, sagte sie, als wir die Straße erreicht hatten. Wir hatten die Strecke in einem Viertel der Zeit zurückgelegt, die wir auf dem Hinweg gebraucht hatten.
    »Was hast du erwartet?«
    »Dass die Fabrik in sich zusammenfällt und ein heiliger Ort wird«, erwiderte sie, als wäre das die normalste Sache der Welt. »Entweder das, oder ein paar Huorns.«
    An die Huorns hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht, und ich trauerte ihnen wirklich nach. »Ich dachte, die Blüten würden sich auflösen, und dann würden sich kreisförmig Wellen ausbreiten, und die Fabrik würde einstürzen, und die Bäume und der Efeu würden vor unseren Augen die Trümmer überwuchern, und aus dem Wasser würde wieder richtiges Wasser, und ein Vogel würde daraus trinken, und dann würden die Feen kommen und sich dort niederlassen.«
    »Aber es ist überhaupt nichts passiert«, erwiderte sie mit einem Seufzer. »Wir müssen

Weitere Kostenlose Bücher