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In einer anderen Welt (German Edition)

In einer anderen Welt (German Edition)

Titel: In einer anderen Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Walton
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sie nicht sehen kann, wird es mir wahrscheinlich ebenso ergehen. Wenn überhaupt welche dort sind. Ich werde auf keinen Fall Magie wirken, nur um etwas zu beweisen, ganz egal, was er sagt. Außerdem kann man Magie immer abstreiten, wenn man will, und vielleicht macht er das auch. Oder wollte er, dass alle wissen, dass ich mich mit ihm treffe? Warum? Damit sie dann auf mich genauso wütend sind wie auf ihn? Bei Janine hat es jedenfalls geklappt.
    Das ist alles so kompliziert! Ich möchte viele Freunde haben, nicht nur einen.
    Auf dem Rückweg zum Auto hat mich Greg vor Wim gewarnt. Er hat nichts Konkretes gesagt, so wie Janine und Hugh. Er hat gesagt, Wim hätte eine Freundin gehabt, die glaubte, sie wäre wegen ihm in Schwierigkeiten geraten, und ich sollte vorsichtig sein.
    »Darum geht es doch gar nicht«, erklärte ich ihm. »Er hat eine Freundin. Für mich interessiert er sich doch gar nicht. Ich meine, ich hab ein böses Bein und sehe irgendwie seltsam aus, und ich werde fett, weil ich nicht genug Sport treibe und andauernd esse, während Wim, na ja, Wim könnte jede habe.«
    »Du hast ein nettes Lächeln«, sagte Greg – das sagen die Leute immer. Das ist so etwas wie eine automatische, vorprogrammierte Antwort, wenn ich sage, dass ich nicht hübsch bin, worüber ich mir keine Illusionen mache.
    »Außerdem ist er ein ganzes Stück älter als ich.«
    »Achtzehn Monate, nicht sechzig Jahre«, brummte Greg. »Und ich bin nicht blind. Ich würde sagen, dass er an dir interessiert ist und du an ihm. Ich habe gesehen, wie ihr einander anschaut.«
    Ich konnte schlecht erwidern, dass Wim mich nur so anschaut, weil er glaubt, ich könnte Gedanken lesen wie in Es stirbt in mir (wie kommt er nur darauf?), oder dass er nur mit mir in den Wald geht, weil er eine Elfe sehen wollte. »Ich werde vorsichtig sein«, sagte ich stattdessen.
    Für Wim muss es furchtbar sein, wenn jeder, den er kennt, über ihn Bescheid weiß, und jeder, den er kennenlernt, vor ihm gewarnt wird. Das hat Hugh gesagt. Hugh war gestern Abend nicht da, ich weiß nicht, wo er ist, ich habe ihn seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.

Donnerstag, 31. Januar 1980
    Es war klasse, mittags das Schulgelände zu verlassen und den Bus zu nehmen. Ich kam mir vor, als würde ich in die Freiheit entfliehen. Sogar mein Bein fühlte sich nicht besonders schlimm an – ich hatte das Gefühl, Gott und der Welt ein Schnippchen zu schlagen. Zwei Busse und einen Zug später war ich in Shrewsbury, ohne Probleme. Der Zug ist eine schäbige Regionalbahn, gar nicht so viel anders als ein Bus. Die meisten Fahrgäste kamen aus Nordwales und hatten einen seltsamen Akzent und sagten am Ende jeder Frage immer »ja/nein«, worüber sich die Leute in Südwales traditionell lustig machen. »Soll ich uns im Speisewagen eine Tasse Tee holen, ja/nein?« – »Ist Shrewsbury schon die nächste Station, ja/nein?« Unzutreffendes bitte streichen. Ich habe nicht gelacht, aber viel hat nicht gefehlt. Das ist schwer, wenn jemand dermaßen einer Parodie gleicht.
    Die Akupunktur verlief gut. Während ich auf dem Tisch lag, hörten die Schmerzen ganz auf. Das ist großartig – wenn einem plötzlich nichts mehr wehtut, nicht einmal andeutungsweise. Damit lebe ich nun schon seit Jahren, so lange, dass ich mich gar nicht mehr richtig daran erinnern kann. Schmerzen durchdringen alles. Deshalb habe ich ja auch von der Ballerina mit dem Gehstock geträumt.
    Hinterher bin ich in ein Café gegangen und habe Ofenkartoffeln mit Eiersalat und ein Thunfischsandwich mit Mayonnaise gegessen, einen Doppeldecker. Ich saß in einer kleinen Nische, habe mein Buch gelesen ( Charisma , das genial ist, aber auch seltsam) und mich sicher und anonym gefühlt. Dass ich hier sitze, spielt keine Rolle, ich bin nur »ein Mensch in einer Menge« oder »ein Schulmädchen, das in einem Café ein Buch liest«. Ich bin eine Klischeefigur, und wenn ich wieder gehe, wird eine andere meinen Platz einnehmen. Niemand wird mich bemerken. Ich bin ein unbedeutender Teil der Szenerie. Nichts fühlt sich sicherer an.
    Dann bin ich zum Bahnhof zurückgelaufen, und unterwegs bin ich an dem Owen Owens vorbeigekommen, wo ich mit meinen Tanten einkaufen war. Das ist ein Kaufhaus, in dem es nicht nur Kleider gibt, sondern auch eine Schreibwarenabteilung. Also habe ich kurz reingeschaut, um nach Federn für meinen Füllfederhalter zu fragen. Wenn man mit einem Füller rückwärts schreibt, geht dabei die Feder kaputt – Linkshänder haben

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