In einer anderen Welt (German Edition)
nicht.«
»Vielleicht solltest du Nachhilfe nehmen«, schlug Daniel vor.
»Das Geld wäre zum Fenster hinausgeworfen. Ich krieg das einfach nicht hin. Genauso gut könntest du einem Pferd beibringen zu singen.«
»Kennst du die Geschichte?«, fragte er, wobei er sich mir zuwandte und mir aus Versehen Rauch ins Gesicht blies. Igitt!
»Tötet mich nicht, gebt mir ein Jahr, dann bringe ich deinem Pferd das Singen bei. In einem Jahr kann alles Mögliche geschehen: Der König könnte sterben. Ich könnte sterben. Und vielleicht lernt das Pferd doch singen«, fasste ich zusammen. Das stammt aus Der Splitter im Auge Gottes , und deshalb ist es ihm wahrscheinlich auch eingefallen.
»In der Geschichte geht es darum, Dinge hinauszuschieben«, sagte Daniel, als wäre das sein Fachgebiet.
»In der Geschichte geht es um Hoffnung«, sagte ich. »Wir wissen nicht, was am Ende des Jahres passiert ist.«
»Wenn das Pferd singen gelernt hätte, wüssten wir das.«
»Vielleicht ist das der Ursprung der Zentauren-Legende. Vielleicht ist das Pferd nach Narnia gegangen und hat den Mann mitgenommen. Vielleicht wurde es der Vorfahre von Caligulas Pferd Incitatus, das zum Senator ernannt wurde. Vielleicht gab es eine ganze Sippe singender Pferde, und Incitatus war ihr Versuch, gleichgestellt zu werden, nur dass alles schiefging.«
Daniel warf mir einen irritierten Blick zu, und ich wünschte, ich hätte mir meine Ausführungen für jemanden aufgespart, der sie zu schätzen weiß.
»Dann also donnerstags«, sagte er. »Sobald wir zu Hause sind, rufe ich dort an und treffe die nötigen Vereinbarungen.«
Wenn es in der Geschichte darum gegangen wäre, Dinge hinauszuschieben, hätte sie eine eindeutige Moral gehabt, und der Mann wäre am Ende des Jahres gestorben. Ich stelle mir lieber vor, dass sie überleben.
Am Ende des Jahres brachen sie die Stalltür nieder,
und Mann und Pferd galoppierten gemeinsam fort,
dem Sonnenuntergang entgegen an einen schöneren Ort,
sprengten dahin und sangen glückliche Lieder.
Mittwoch, 23. Januar 1980
Heute Morgen hat es ein kleines bisschen geschneit, allerdings nicht so viel, dass ein Hobbit davon nasse Zehen bekommen hätte, und bis zum Frühstück war auch alles wieder geschmolzen.
Ich bin wieder in der Schule, die lauter ist denn je, so laut, dass es widerhallt.
Ein Spiel von Traum und Tod hat sich als Romanfassung von »Der Former« entpuppt, einer Variation von Brunners Beherrscher der Träume , oder umgekehrt. Ich weiß nicht, was zuerst geschrieben wurde, aber den Brunner habe ich zuerst gelesen. Allein die Vorstellung, mit Träumen zu arbeiten, ist sonderbar. Ein Spiel von Traum und Tod ist ein gutes Buch, aber auch ein beunruhigendes. Kaum zu glauben, dass es vom selben Autor stammt wie die Amber -Romane, die solchen Spaß machen.
Die Leute sind viel freundlicher zu mir als früher. Sharon hat »Hallo« gesagt, als ich nach dem Mittagessen zum Englischunterricht gegangen bin, und »schön, dass du wieder da bist«. Nachdem ich aufgestanden bin, hat Daniel darauf bestanden abzuwarten, wie es mir geht, und er hat mich erst am späten Vormittag nach Arlinghurst gefahren. Es hat sich nichts verändert. Bei der Kälte benimmt sich mein Bein wieder wie ein rostiger Wetterhahn, aber das ist immer noch so viel besser als vor der Akupunktur, dass es mir fast egal ist.
Ich habe Sharon verziehen, dass sie mir die kalte Schulter gezeigt hat. Ich werde höflich und nett sein, aber ich werde mir auch keine besondere Mühe geben, sie nicht Schussel zu nennen, wenn das alle tun. Deirdre dagegen, die zu mir gehalten hat, hat sich meine lebenslange Treue verdient, und das Wort »Dussel« wird mir niemals über die Lippen kommen. Obwohl ich mehr hinkte denn je, sagten alle heute seltsamerweise »Rote Socke« zu mir. Vielleicht haben sie jetzt größeren Respekt vor mir, nachdem ich im Krankenhaus war. Zum Glück hat es aber auch niemand für nötig gehalten, mich mit Mitleid zu überhäufen.
Es ist wirklich nett, Miss Carroll wiederzusehen. Während ich hier in der Bibliothek lese oder schreibe, stört sie mich nie, aber wenn ich an ihrem Schreibtisch vorbeikomme, hat sie immer ein paar freundliche Worte für mich übrig. Ich habe mich schon fast an die Bibliothek gewöhnt, an das ganze Holz und die hübschen Bücherregale, aber erst jetzt wird mir wieder klar, wie genial es hier ist. So ein Zimmer hätte ich gerne in meinem eigenen Haus, wenn ich einmal ein eigenes Haus habe, wenn ich erwachsen
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