In einer anderen Welt (German Edition)
hätten. Wenn es so funktionieren würde wie in den Geschichten, wäre es leichter zu begreifen. Und so kann man es auch viel einfacher abtun – man kann alles abtun, wenn man skeptisch veranlagt ist, denn es gibt immer eine vernünftige Erklärung. Magie entfaltet ihre Wirkung immer durch Dinge in der realen Welt, und sie ist immer widerlegbar.
Auch der Brief meiner Mutter ist in gewisser Hinsicht so. Er ist bissig, aber nicht auf eine Weise, die jemand anderem auffallen würde. Sie will mir Bilder von Mor schicken, wenn ich ihr schreibe. Sie sagt, dass sie mich vermisst, aber jetzt sei mein Vater an der Reihe, sich für eine Weile um mich zu kümmern, eine Auslegung meiner Situation, für die ich sie am liebsten erwürgen möchte. Und der Umschlag ist in ihrer unnachahmlichen Handschrift fein säuberlich an Morwenna Markova adressiert. Also weiß sie, was für einen Namen ich verwende.
Ich habe Angst. Aber die Bilder hätte ich doch gerne, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich außerhalb ihrer Reichweite befinde.
Samstag, 22. September 1979
Heute regnet es.
Ich bin in den Ort gefahren, nach Oswestry, das nicht eben viel hermacht, und habe für Sharon Schampon gekauft. Am Samstag darf sie kein Geld anrühren, weil sie Jüdin ist. Ich habe eine Bibliothek entdeckt, aber sie schließt mittags um zwölf. Wozu ist eine Bibliothek gut, die am Samstagmittag schließt? Das ist ja so was von englisch, also wirklich! Eine Buchhandlung gibt es keine, aber einen Smiths , der auch Bücher führt, wenn auch nur Bestseller. Immerhin, besser als gar nichts.
Nach meiner Rückkehr habe ich den Rest meines Nachmittags in der Bibliothek verbracht. The Charioteer hat mich ziemlich schockiert. Bisher war mir noch nicht in den Sinn gekommen, dass die Männer in Renaults Büchern über das alte Griechenland, die sich ineinander verlieben, Homosexuelle sind, aber natürlich sind sie das. Ich lese das Buch heimlich, als ob es mir jemand wegnehmen würde, wenn herauskäme, worum es geht. Erstaunlich, dass es in einer Schulbibliothek steht. Ich frage mich, ob ich die erste Leserin bin, seit sie es 1959 angeschafft haben.
Sonntag, 23. September 1979
Sonntagnachmittags sollen wir nach Hause schreiben. Ich habe meinem Vater – Daniel – recht lange Briefe geschrieben, die von Büchern handeln, mit Ausnahme einer kurzen Bemerkung, dass ich hoffe, ihm und meinen Tanten gehe es gut. Er hat im selben Stil zurückgeschrieben und mir ein Päckchen mit dem einen Buch geschickt, das ich nicht brauche, einer dreibändigen gebundenen Ausgabe des Herrn der Ringe . Meine Taschenbuchausgabe ist ein Geschenk von Tantchen Teg. Außerdem hat er mir Die Welt der Drachen geschickt, das aus »Die Drachenkönigin« besteht und dem, was unmittelbar danach geschieht, Le Guins Stadt der Illusionen und Larry Nivens Der Flug des Pferdes . Es ist okay, aber nicht so gut wie Ringwelt oder Ein Geschenk der Erde .
Heute habe ich einen Brief an meine Mutter verfasst. Ich habe ihr geschrieben, dass es mir gutgeht und dass mir der Unterricht gefällt. Ich habe ihr meine Noten und meinen Status als Klassenbeste mitgeteilt. Ich habe ihr erzählt, wie sich mein Haus beim Hockey und beim Lacrosse schlägt. Es war ein mustergültiger Brief, und genau genommen gab es dafür auch ein Muster, und zwar einen Brief, den meine irische Freundin Deirdre, der das Briefeschreiben schwerfällt, an ihre Eltern geschickt hat. Dafür darf Deirdre, zu der ich niemals Dussel sage, meine Lateinübersetzung abschreiben. Eigentlich ist sie ziemlich süß – nicht besonders helle, und sie verwendet andauernd falsche Wörter, aber sie ist nett. Sie hätte mir, glaube ich, ihren Brief auch gegeben, wenn sie nichts dafür bekommen hätte.
Dienstag, 25. September 1979
Mein Brief hat eine Reaktion provoziert, fast mit der nächsten Post. Wie versprochen hat sie mir eine Fotografie geschickt. Darauf sind wir beide am Strand zu sehen, wie wir eine Sandburg bauen. Mor hat der Kamera den Rücken zugewandt und klopft den Sand fest. Ich schaue in die Kamera oder zu Opa hinüber, der sie hält, aber außer meiner Silhouette ist nichts mehr zu sehen, denn ich bin sorgsam herausgebrannt worden.
Mittwoch, 26. September 1979
Schule, wie immer. Klassenbeste in allem außer Mathe, wie immer. Ich bin runter zum Graben gegangen, um nach der Fee zu schauen, denn das Kind war ja schon in den Brunnen gefallen, aber ich habe nichts gesehen. Die Ulmen sterben weiterhin. Lese Jenseits des schweigenden
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