In einer anderen Welt (German Edition)
schickt, muss es mit Maschine geschrieben sein.
Deirdre hat sich beim Mittagessen ganz in meine Nähe gesetzt. Sie hat so getan, als wäre es Zufall, aber so, wie sie sich dabei angestellt hat, hat ihr das niemand abgenommen. Die Arme wirkte völlig verängstigt, aber auch fest entschlossen. »Meine Mutter hat gesagt, ich soll zu dir stehen«, flüsterte sie.
»Schön für deine Mutter«, sagte ich in normaler Lautstärke.
»Kannst du mir bei dem Gedicht helfen?«, fragte sie.
Also werde ich ihr helfen, ein Gedicht zu schreiben, was wohl darauf hinausläuft, dass ich es selbst schreibe. Meins habe ich noch nicht angefangen, aber dafür ist noch genügend Zeit, ich muss es erst am Freitag abgeben.
Donnerstag, 8. November 1979
Ich habe Deirdres Gedicht geschrieben und finde es ziemlich gut. Aber gestern, als ich hier saß und Die Zeit der Hexenmeister las (das aus zwei verschiedenen Kurzromanen besteht), kam Miss Carroll mit einem Stapel moderner Gedichtbände herüber und sagte, die sollte ich mir vielleicht mal anschauen.
Allem Anschein nach hat sich einiges verändert, seit Chesterton seine Gedichte geschrieben hat. Wer hätte das gedacht? Oma offenbar nicht, und in den Schulen, die ich besucht hab, war davon auch nichts zu merken. Ich kenne eine Strophe eines Gedichts von Auden, die Delany zitiert hat, aber von T. S. Eliot hatte ich noch nie etwas gehört, und von Ted Hughes ebenso wenig. Eliot hat mich nicht mehr losgelassen, und ich bin in Latein zu spät gekommen, weshalb ich einen Strafpunkt bekommen habe. Ich habe mich gerächt, indem ich Horaz so übersetzt habe, wie Eliot es getan hätte, und sie konnte nichts dagegen sagen, weil es außerdem korrekt war.
Ich habe ein Gedicht für den Wettbewerb geschrieben. Völlig überzeugt bin ich nicht davon. Den Stil Chestertons beherrsche ich ja inzwischen, aber um diesen neuen Stil zu meistern, hatte ich einfach nicht genug Zeit. Das Gedicht dreht sich um den Atomkrieg und das Ulmensterben, und dass wir in den Weltraum fliegen sollten, solange wir noch können.
Von T. S. Eliot gibt es offenbar ein längeres Gedicht mit dem Titel Vier Quartette , das nicht in der Schulbibliothek steht. Miss Carroll hat mir erzählt, dass Eliot in einer Bank arbeitete, als er Das wüste Land schrieb, weil man vom Gedichteschreiben nicht leben kann.
»O Dunkel Dunkel Dunkel ... Perlen sind die Augen sein ... Diese Fragmente wider mein Scheitern angedämmt.«
Freitag, 9. November 1979
Im Herbst, wenn sowieso alle Bäume tot aussehen, kommt es mir gar nicht mehr so schlimm vor, dass die Ulmen sterben.
Ein weiterer Brief. Ich werde sie wieder verbrennen müssen. Allerdings wüsste ich doch zu gerne, ob sie etwas darüber schreibt, was ich getan habe. Als Bestätigung. Obwohl ich weiß, dass es geklappt hat.
Ich habe mein Gedicht eingereicht. Miss Lewes hat es überflogen, aber nichts gesagt. Miss Gilbert, die in der sechsten Klasse Englisch unterrichtet, wird darüber entscheiden.
Hoffentlich warten morgen in der Bibliothek ein paar Bücher auf mich, denn mit dem, was ich habe, bin ich fast durch. Ich lese Corwin von Amber zum zweiten Mal.
Ich träume andauernd von Mor. Ich träume, dass sie ertrinkt und dass ich sie nicht rette. Ich träume, dass ich sie vor ein Auto stoße, anstatt sie zurückzureißen. Wir sind beide angefahren worden. Daran werde ich bei jedem Schritt erinnert, den ich gehe, aber nicht in meinen Träumen. Ich träume, dass ich sie mitten im Labyrinth lebendig begrabe, dass ich Erde über sie schaufle, während sie verzweifelt nach Luft schnappt.
Heute ist es genau ein Jahr her. Ich habe versucht, nicht daran zu denken, aber es überkommt mich immer wieder.
Samstag, 10. November 1979
Während ich mit dem Bus in den Ort fuhr, freute ich mich schon auf die Bücher, die mich in der Bibliothek erwarteten. Sogar die nassen grauen Straßen machten mir fast nichts mehr aus, aber nur fast. Es nieselte, und der Himmel hing sehr tief.
Der Bibliothekar war etwas überrascht, wie viele Bücher ich bestellen wollte, aber dann gab er mir einen Stapel Formulare, damit ich sie selbst ausfüllte. Und all die Bücher, die für mich bereitlagen! Als Nächstes ging ich in die Buchhandlung und kaufte Vier Quartette , Krähe von Ted Hughes und Drachensinger von Anne McCaffrey. Und eine Schachtel Streichhölzer.
Ein Buch mit dem Titel Lord Fouls Fluch von Stephen Donaldson habe ich allerdings nicht gekauft, denn es ist eine Frechheit, dass auf dem Cover behauptet wird,
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