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In einer anderen Welt (German Edition)

In einer anderen Welt (German Edition)

Titel: In einer anderen Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Walton
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mein Status als Aussätzige die anderen fernhielt. Schussel schaute immer mal zu uns herüber, als würde sie bereuen, dass sie mir sonst immer aus dem Weg ging. Als ich unter der Dusche hervortrat, um mir Schampon auf die Haare zu tun, sagte Deirdre lachend: »Du kriegst Brüste.«
    »Ach was!«, erwiderte ich automatisch, noch bevor ich an mir runtergeschaut hatte. Aber dann sah ich, dass sie recht hatte. Hinter meinen Brustwarzen bildeten sich schon seit einiger Zeit kleine Knubbel. Mehr hat meine Mutter auch nicht, also hab ich gedacht, bei mir bleibt es genauso, aber jetzt schwollen sie langsam an. In der 5c haben schon viele Mädchen richtige Brüste. Damit fällt man auch nicht so auf, wie wenn man Schamhaare hat – meine sind sogar dunkler als die Haare auf meinem Kopf –, und wie wenn man seine Regel hat, wie fast alle hier. Ich kriege schon seit zwei Jahren meine Tage. Anfangs befürchtete ich, ich könnte die Feen nicht mehr sehen, aber das spielte keine Rolle, ganz gleich, was C. S. Lewis über die Pubertät gedacht hat.
    »Du brauchst einen BH«, sagte Deirdre.
    »Ach was«, entgegnete ich halbherzig, stieß sie beiseite und spülte meine Haare aus. Während das Schampon an mir runterlief, betrachtete ich meine knospenden Brüste. »Hee, Dee, findest du, dass sie eine seltsame Form haben?«
    Sie lachte so heftig, dass sie kaum noch Luft bekam. Die anderen schauten zu uns rüber, weil sie wissen wollten, was da so komisch war.
    »Nein, ehrlich«, sagte ich leise, aber mit Nachdruck. »Sie sind irgendwie birnenförmig. Nicht so wie bei den anderen.« Ich schaute mich um, und keines der Mädchen hatte Brüste, die so geformt waren wie meine.
    »Die sind schon okay«, sagte Deirdre.
    »Hee, Dussel, was gibt’s denn da zu lachen?«, fragte Lorraine.
    »Taffy hat einen Witz gemacht«, sagte Deirdre.
    Einige der Mädchen, die mit Duschen fertig waren, wickelten sich in Handtücher und fingen an, Jake the Peg zu singen. Ich starrte sie wütend an, was aber wegen dem Wasser wirkungslos blieb.
    Deirdre und ich ließen uns gemeinsam berieseln. »Die sind okay«, flüsterte sie. »Sie sehen nur seltsam aus, weil du sie von oben siehst. Wenn du sie von vorne sehen könntest, wie bei den anderen, würdest du feststellen, dass es da keinen Unterschied gibt.«
    »Im Spiegel«, sagte ich.
    »Wer dauernd in den Spiegel schaut, ist eitel, behauptet Karen.«
    »Dumme Pute.« In dieser Schule musste man andauernd aufpassen, was man sagte und tat.
    Die einzigen Spiegel befinden sich in einer langen Reihe über den Waschbecken in der Toilette, wo wir uns die Zähne putzen und die Haare kämmen. »Los, komm«, sagte ich.
    Deirdre kicherte und schnappte sich ihr Handtuch, und ich nahm meins und legte es mir um die Schultern wie einen Mantel. Dann tat ich meine Seife und mein Schampon zurück in meinen Waschbeutel, denn sonst klaut sie jemand oder kippt das Schampon in den Abfluss, was mir in meiner ersten Woche hier mit dem Duschgel passiert ist.
    Wir gingen rüber in die Toilette, die sich gleich neben dem Duschraum befindet. Sie war leer, was leicht zu erkennen war, denn keine der Toilettenkabinen hat Türen. Ich stellte meinen Waschbeutel ab und wickelte mir das Handtuch um den Kopf wie einen Turban. Das ist ziemlich praktisch – Sharon hat es mir beigebracht, die langes, widerspenstiges Haar hat, und sogar bei ihr hält es. Deirdre hat sich ihr Handtuch um die Schulter gelegt, und ansonsten waren wir nackt.
    Wir sahen sofort, dass die Spiegel völlig nutzlos waren, denn darin sahen wir nur unser Gesicht und unseren Hals.
    »Vielleicht wenn wir uns irgendwo draufstellen«, sagte Deirdre und schaute sich um.
    »Worauf denn?«, erwiderte ich. »Die Toiletten sind zu hoch.«
    »Lass es uns versuchen.«
    Also klappten wir bei zwei Toiletten den Deckel runter und kletterten obendrauf. Als wir sahen, dass sie zu hoch waren, hockten wir uns hin, wobei wir uns alle Mühe geben mussten, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und während wir so nackt vor uns hin kicherten, kam eine der Vertrauensschülerinnen rein, weil sie wissen wollte, was der ganze Lärm zu bedeuten hatte.

Donnerstag, 15. November 1979
    Entweder hat mein Traumschutz nicht funktioniert, oder die Träume stammen nicht von ihr, sondern aus meinem Unterbewusstsein.
    Letzte Nacht habe ich geträumt, dass meine Mutter uns voneinander trennen möchte. Sie wollte nach Colchester in Essex ziehen und Mor mitnehmen, weil Mor, wie sie sagte, fügsamer war als ich und ich

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