In einer heißen Sommernacht
Was Ella ganz recht war.
Margaret schob dem Prediger einen Eistee über den Tisch. Er griff mit beiden Händen nach dem Glas und nippte daran. Ella bemerkte, dass seine Fingerknöchel blutig aufgeschürft waren. Offenbar hatte er selbst ein paar harte Schläge ausgeteilt.
» Was ist passiert? Wer war das?«, fragte Mr Rainwater. Sein weißes Hemd war mit dem Blut des anderen Mannes verschmiert, aber er schien es nicht wahrzunehmen.
» Die haben die Kühe erschossen.«
» Gott sei uns gnädig«, jammerte Margaret.
» Die Regierungsbeauftragten vom DRS ? Vom Drought Relief Service?«, fragte Mr Rainwater.
Der Prediger nickte.
» Wessen Herde war es?«, fragte Ella.
» Pritchett ist sein Name.«
Sie sah Mr Rainwater an. » George Pritchett. Seine Familie bewirtschaftet seit mindestens drei Generationen eine Milchfarm.«
Die Regierung hatte in diesem Jahr ein Notprogramm verabschiedet, um Farmer, Milchbauern und Viehzüchter vor dem totalen Ruin zu bewahren. Es herrschte die schlimmste Dürre seit hundert Jahren, was den Großen Ebenen den Spitznamen » Staubschüssel« eingebracht hatte. Land, das früher bestellt wurde oder als Weideland diente, war nun eine riesige Brachfläche, die von Wind und Insektenschwärmen verwüstet wurde.
Als Reaktion auf die sich immer weiter verschärfende Krisensituation hatte der amerikanische Kongress mehrere Millionen Dollar bewilligt, um den Milchbauern und Züchtern ihr Vieh abzukaufen, das buchstäblich verhungerte. Es wurden bis zu zwanzig Dollar pro Tier bezahlt, was weit unter dem normalen Marktpreis lag, aber unter diesen Umständen besser als nichts war.
Das Programm schien zu funktionieren. Lebendvieh, das für den Verzehr gesund genug war, wurde zur Federal Surplus Relief Corporation transportiert, wo es geschlachtet und verarbeitet wurde. Das Dosenfleisch wurde anschließend in Übergangssiedlungen, Suppenküchen und Lebensmittelausgabestellen verteilt. Die Farmer und Viehzüchter bekamen eine kleine Entschädigung, und die Hungrigen bekamen zu essen.
Aber es gab auch einen beunruhigenden Aspekt dieses Regierungsprogrammes. Das Vieh, das sich für die Schlachtung nicht eignete, wurde an Ort und Stelle getötet und anschließend begraben. Das konnte eine ganze Herde betreffen oder eine einzige Milchkuh. Das Programm verfolgte den Zweck, Familien zu helfen, die sowohl unter der Dürre als auch unter der Wirtschaftsdepression litten. Dennoch zerriss es einem das Herz, mitanzusehen, wie ein Lebenswerk auf derart brutale Art zerstört wurde.
Bruder Calvin begann zu erzählen. » Zuerst haben sie die dicksten Kühe aus der Herde geholt– das waren nicht gerade viele–, auf einen Transporter verfrachtet und anschließend weggebracht. Das restliche Vieh haben sie in eine Grube getrieben, so groß wie dieses Haus. Die haben sie vorher ausgehoben. Dann haben sich sechs Schützen am Rand verteilt.
» Mr Pritchett ist mit seiner Frau und seinen Kindern ins Haus gegangen und hat die Tür hinter sich geschlossen. Er konnte es nicht ertragen, mitanzusehen, wie seine Kühe getötet werden. Es schien ihm völlig unwichtig, dass er für sie Geld bekommen hatte. Sein Herz und seine Seele waren gebrochen.«
Während der Prediger berichtete, gewann seine Stimme immer mehr Volumen. Sie hallte von den Küchenwänden wider, als würde er auf der Kanzel stehen und vor Höllenfeuer und Schwefel warnen. » Dann haben sie das Feuer eröffnet. Der Krach hat die Tiere erschreckt. Sie fingen an zu brüllen und fielen nach und nach um. Kühe, Kälber, alle bis zum letzten Tier.«
Ella wurde bei der Vorstellung eines derartigen Gemetzels übel. Margaret presste eine Hand auf ihre zitternden Lippen. Mr Rainwaters hagerer Kiefer arbeitete, als würde er mit den Zähnen malmen.
Ella sagte: » Ich weiß, es ist notwendig. Es soll eine Hilfe sein. Aber es kommt einem so grausam vor.«
» Vor allem demjenigen, der Tag und Nacht geschuftet hat, um seinen Viehbestand aufzubauen«, sagte Mr Rainwater. » Wer hat Sie so zugerichtet, Bruder Calvin? Und warum?«
Der Prediger fuhr sich mit seiner aufgeschürften Faust über die feuchten Augen. » Die Leute in der Siedlung haben erfahren, was heute auf der Pritchett-Farm geplant war. Also haben sie sich gemeinsam auf den Weg gemacht, Schwarze und Weiße. Vereint im Hunger. Sie haben alle Messer und Beile mitgenommen, die sie auftreiben konnten. Sie schleppten sogar Waschzuber mit und Kochtöpfe, weil sie dachten, dass sie das Fleisch von den toten
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