In einer heißen Sommernacht
partout nicht davon ablenken, und er wurde sehr schnell unruhig, wenn wir es versuchten.
Sein Interesse und Bewusstsein für das, was um ihn herum geschah, schwanden. Die Anfälle häuften sich. Das Schaukeln mit dem Oberkörper, das Um-sich-Schlagen wurden zu einer Regelmäßigkeit. Eine Zeit lang konnte ich ihn noch auffangen, aber dann entglitt mir mein süßer, kluger Junge jeden Tag ein kleines Stück mehr.« Sie hob ihren Blick von ihrem Schoß zu Solly, der immer noch Dominosteine aufstellte. » Bis er ganz verschwand.« Sie sah zu Mr Rainwater und hob die Schultern. » Ich habe ihn nie wieder zurückbekommen.«
Mr Rainwater hatte ihr zugehört, ohne sich zu bewegen. Nun blickte er auf Solly. » Murdy findet, er gehört in eine Einrichtung.«
Sie bereute sofort, dass sie mit ihrer üblichen Zurückhaltung gebrochen hatte und so offen zu ihm gewesen war, sie ging direkt zur Verteidigung über. » Sie haben mit ihm über mein Kind gesprochen?«
» Ich habe ihn gefragt, was mit Solly los ist.«
» Warum?«
» Warum ich gefragt habe? Ich wollte es wissen.«
» Mr Rainwater, Ihre Neugier ist–«
» Sorge, nicht Neugier.«
» Warum sollten Sie sich um einen Jungen sorgen, von dessen Existenz Sie bis vor ein paar Wochen nichts wussten?«
» Weil er bei unserer ersten Begegnung einen Topf mit heißer Stärke auf sich gekippt hat.«
Wäre es ihr lieber, dass er nicht um ein Kind besorgt wäre, das sich verbrüht hatte? Nein. Trotzdem empfand sie sein Interesse als Kränkung. Sie hatte gedacht, er wäre anders als die gaffenden Fremden. Doch er war genauso. Er besaß nur zu gute Manieren, um unhöfliche Fragen zu stellen und Solly mit unverhohlener Faszination oder Abscheu anzustarren. Er war zu höflich, um lachend mit dem Finger auf Solly zu zeigen und Witze zu machen oder hässliche Dinge zu sagen. Aber hinter ihrem Rücken mit dem Doktor über Solly zu sprechen, war genauso verachtungswürdig.
» Wenn Sie mehr über Solly erfahren wollten, warum haben Sie dann nicht mich gefragt?«
» Weil ich geahnt habe, dass Sie genauso reagieren würden wie jetzt.«
Sein vernünftiger Ton unterstrich nur ihre Unsicherheit. Sie konnte nicht anders, als sich zu fragen, was der Doktor ihm noch über sie erzählt hatte. Es machte sie rasend, dass die beiden über sie gesprochen hatten. Sie spürte die Hitze aus ihrem Kragen, am Hals hoch ins Gesicht steigen.
Als könnte er ihre Gedanken lesen, sagte er: » Wir haben nicht getratscht, Mrs Barron. Ich habe Murdy ein paar Dinge gefragt, und er hat sie mir erklärt.«
» Hat er Sie beauftragt, mich zu überreden, Solly wegzugeben, nachdem seine Versuche alle gescheitert sind?«
» Nein.«
» Ich werde es nie zulassen, dass Solly eingesperrt wird.«
Er nickte, ob aus Zustimmung oder Verständnis, konnte sie nicht sagen. » Das ist eine sehr mutige Entscheidung.« Seine Antwort war genauso zweideutig wie sein Nicken.
Sie stand auf. » Es gibt bald Abendessen. Ich habe zu tun.« Sie kniete sich neben Solly und schickte sich an, ihn hochzuheben und, selbst wenn er einen seiner Anfälle bekam, aus dem Zimmer zu tragen, fort von Mr Rainwater.
Zu ihrer Bestürzung legte ihr Untermieter eine Hand auf ihren Arm. » Bitte. Schauen Sie genau hin. Sagen Sie mir, was Sie sehen.«
Solly war damit fertig, alle Dominosteine in einer Reihe aufzustellen, und starrte nun auf die Serpentine. Während Ella ihn beobachtete, gab er dem letzten Stein einen sanften Schubs. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis alle umgefallen waren, wie bereits zuvor.
Da sie Mr Rainwaters Aufforderung nicht verstand, sah sie ihn fragend an.
Er sagte: » Achten Sie auf die Punkte.«
Sie brauchte nur wenige Sekunden, um zu erkennen, was er meinte, und bekam sofort eine Gänsehaut. Ihr Herz stockte kurz. Sie gab leise einen unbeabsichtigten, erstaunten Laut von sich.
Die Dominosteine waren vorher gemischt und mit verdeckter Oberseite ausgelegt worden. Trotzdem hatte Solly einen nach dem anderen in nummerisch aufsteigender Reihenfolge herausgepickt und hochkant aufgestellt, von der Doppel-Null bis zur Doppel-Sechs.
Ellas Atem ging schneller, und sie wandte den Kopf zu Mr Rainwater. » Wie haben Sie ihm das beigebracht?«
Sein Lächeln wurde breiter. » Ich habe ihm das nicht beigebracht.«
7
» Man nennt das Inselbegabung.«
Es war der Tag nach der Entdeckung von Sollys bemerkenswerter Fähigkeit. Gestern Abend nach dem Essen hatten Ella und Mr Rainwater ihn mehrmals getestet. Er machte keinen einzigen
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