In einer heißen Sommernacht
Anfälle kontrollieren?
Was würde aus ihm werden, wenn ihr etwas zustieß? Menschen konnten in der Blüte ihres Lebens tödlich erkranken. So wie Mr Rainwater. Was, wenn sie Krebs bekam und sterben musste? Wo würde Solly dann sein restliches Leben verbringen?
Menschen wurden auch durch Unfälle getötet. Sie wurden überfahren, vom Blitz getroffen, von der Heugabel aufgespießt. Die Menschen starben dumme, alberne, sinnlose Tode bei häuslichen Arbeiten, die sie schon tausendfach ohne Zwischenfälle verrichtet hatten. Wenn sie plötzlich sterben müsste, was würde dann aus Solly werden?
Oder was, wenn er irgendwann während eines Anfalls jemanden verletzte? Dann würde man ihn ihr wegnehmen und in eine Anstalt stecken, und man würde sagen, dass es so für alle besser sei. Für alle bis auf Solly.
Schließlich hatte Ella sich ausgeweint. Sie schämte sich für ihre Tränen und wusch das Gesicht mit kaltem Wasser, bis ihre Augen nicht mehr so rot und geschwollen waren. Sie richtete ihre Frisur und band eine frische Schürze um. Dann sah sie ein letztes Mal nach Solly, bevor sie das Zimmer verließ.
Das Haus war still. Das Abendessen war vorüber, und der Esstisch war abgeräumt. Margaret spülte das Geschirr in der Küche. » Ich habe Ihnen einen Teller aufgehoben, Miss Ella.« Er stand mit einem Tuch bedeckt mitten auf dem Tisch.
» Danke, Margaret«, erwiderte sie, ohne sich von der Stelle zu rühren.
Die Magd blickte sie besorgt an. » Möchten Sie etwas anderes essen? Ich kann noch bleiben und für Sie kochen, was Sie wollen.«
Ella schüttelte den Kopf. » Ich habe keinen Hunger. Geh ruhig nach Hause.« Als sie sah, dass Margaret zögerte, fügte sie hinzu: » Ich habe mich beruhigt. Solly schläft. Wir kommen zurecht. Wir sehen uns dann morgen früh.«
Margaret zog ihre Schürze aus und setzte ihren Hut auf. Dann ging sie zu Ella und umarmte sie kurz. » Der Kummer von heute ist bald Vergangenheit. Morgen wird es wieder besser.«
Dies sollte sich als unwahr erweisen.
Mr Rainwater erschien nicht zum Frühstück. Ella vermutete, dass er sein Zimmer nicht verließ, weil er von ihren rüden Worten gestern Abend gekränkt war. Sie hatte unfairerweise ihren Frust an ihm ausgelassen, obwohl er zum Teil auch selbst dafür verantwortlich war. Es war ihr völlig ernst gewesen, als sie sagte, dass sie nicht möchte, dass Solly zu einem Ausstellungsobjekt von morbider Faszination gemacht wurde, wie der Elefantenmensch in England.
Aber im Grunde ihres Herzens wusste Ella, dass dies nicht Mr Rainwaters Absicht war. Im Gegenteil. Sein Wunsch, Sollys Fähigkeiten auszuloten, war ehrenhaft und liebenswürdig. Sie hatte keinen Grund zu der Annahme, dass er Solly ausbeuten wollte, jedenfalls definitiv nicht aus Eigennutz.
Sie nahm sich vor, sich für ihr unhöfliches Benehmen zu entschuldigen, aber der Vormittag verstrich, ohne dass Mr Rainwater herunterkam. Sie begann sich erst Sorgen zu machen, als er auch zum Mittagessen nicht erschien. Margaret versicherte, dass sie ihn den ganzen Tag nicht gesehen hatte. Auch die Dunne-Schwestern hatten ihn nicht zu Gesicht bekommen.
» Es ist hoffentlich nichts Ernstes«, sagte Miss Violet mit einem Zittern in der Stimme.
» Wahrscheinlich möchte er nur die Hitze meiden.«
Aber Ella zweifelte an ihrer eigenen Erklärung und beschloss, nach ihm zu schauen. Sie ließ Solly in Margarets Obhut und begab sich nach oben. Während sie den langen Flur durchquerte, stellte sie sicher, dass man ihre Schritte hörte. Sie wollte nicht, dass er den Eindruck bekam, sie würde ihm heimlich hinterherspionieren.
Sie blieb vor seiner Tür stehen und lauschte kurz, aber es drangen keine Geräusche von der anderen Seite. » Mr Rainwater?« Sie klopfte leise an die Tür und presste die Faust vor den Mund, während sie auf eine Antwort wartete. Es kam keine. Sie klopfte wieder leise. » Mr Rainwater, ist alles in Ordnung?«
Als er nicht reagierte, wurde ihr Mund trocken, und ihr Herz begann, in böser Vorahnung dumpf zu pochen. Doktor Kincaid hatte gesagt, sechs bis zwölf Wochen. Vielleicht länger, wenn er Glück hatte. Er meinte, Mr Rainwater würde gute und schlechte Tage haben, aber der schleichende Verfall, während der Krebs weiter wucherte, sei unaufhaltbar. Er würde Schmerzen haben. Zum Schluss würde ein Organ nach dem anderen versagen, aber der Arzt hatte Ella versprochen, den Sterbenden in ein Krankenhaus zu bringen, bevor es so weit war.
» Ich werde ihn nicht in Ihrem Haus
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