In einer kleinen Stad
immer.« Aber sie wußten beide, daß Norris genau das tat.
Alan seufzte. »Lassen wir das – es war ein verdammt langer Tag für Sie. Tut mir leid.«
Norris zuckte die Achseln. »Es war Mord. Dergleichen passiert hier nicht allzu oft. Aber wenn es passiert, dann müssen eben alle ran.«
»Bitten Sie Sandy oder Sheila, Ihnen einen Überstundenzettel auszufüllen, wenn eine von den beiden noch hier ist.«
»Um damit Buster etwas gegen mich in die Hand zu geben?« Norris lachte etwas bitter. »Ich glaube, das lasse ich lieber bleiben. Das geht auf mein Konto, Alan.«
»Hat er sich wieder mit Ihnen angelegt?« In den letzten paar Tagen hatte Alan überhaupt nicht mehr an den Vorsitzenden des Stadtrates gedacht.
»Nein – aber wenn wir uns auf der Straße begegnen, fixiert er mich auf eine verdammt haarige Art. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich so tot wie Nettie und Wilma.«
»Ich schreibe den Zettel morgen früh selbst aus.«
»Wenn Ihr Name draufsteht, ist es okay«, sagte Norris und machte sich auf den Weg zu der Tür NUR FÜR STÄD-TISCHE ANGESTELLTE. »Gute Nacht, Alan.«
»Viel Glück beim Angeln.«
Norris begann sofort zu strahlen. »Danke. Sie sollten die Rute sehen, die ich in dem neuen Laden gekauft habe, Alan – es ist ein Prachtstück.«
Alan lächelte. »Das bezweifle ich nicht. Ich habe immer noch vor, den Mann aufzusuchen – wie es scheint, hat er für jedermann in der Stadt etwas, also weshalb nicht auch für mich?«
»Weshalb nicht?« stimmte Norris ihm zu. »Er hat wirklich alle möglichen Sachen. Sie werden überrascht sein.«
»Gute Nacht, Norris. Und nochmals vielen Dank.«
»Keine Ursache.« Aber Norris war offensichtlich erfreut.
Alan stieg in seinen Wagen, setzte vom Parkplatz herunter und bog in die Main Street ein. Automatisch überprüfte er die Gebäude auf beiden Straßenseiten; er tat es nicht bewußt, speicherte aber trotzdem die Informationen. Zu den Dingen, die er registrierte, gehörte die Tatsache, daß im Stockwerk über Needful Things Licht brannte. Es war höchst ungewöhnlich für Bewohner einer kleinen Stadt, um diese späte Stunde noch wach zu sein. Er fragte sich, ob Mr. Leland Gaunt vielleicht unter Schlaflosigkeit litt, und dachte wieder daran, daß er ihn aufsuchen wollte – aber das hatte vermutlich Zeit, bis die traurige Geschichte mit Nettie und Wilma geklärt war.
Er erreichte die Ecke von Main und Laurel Street, signalisierte, daß er links abzubiegen gedachte, dann hielt er mitten auf der Kreuzung an und bog statt dessen nach rechts ab. Zum Teufel mit dem Nachhausefahren. Das war ein kalter und leerer Ort, und sein überlebender Sohn machte sich ein paar schöne Tage auf Cape Cod. In diesem Haus gab es zu viele verschlossene Türen, hinter denen zu viele Erinnerungen lauerten. An der anderen Seite der Stadt gab es eine lebendige Frau, die vielleicht gerade jetzt dringend jemanden brauchte. Vielleicht fast so dringend, wie dieser lebendige Mann sie jetzt brauchte.
Fünf Minuten später schaltete Alan die Scheinwerfer aus und ließ den Wagen leise auf Pollys Auffahrt rollen. Die Tür würde verschlossen sein, aber er wußte, unter welcher Ecke der Verandastufen er nachsehen mußte.
5
»Was tun Sie denn noch hier, Sandy?« fragte Norris, als er eintrat und dabei bereits seine Krawatte lockerte.
Sandra McMillan, eine verblühende Blondine, die seit fast zwanzig Jahren in der Zentrale des Countys aushalf, schlüpfte in ihren Mantel. Sie sah sehr müde aus.
»Sheila hatte Karten für einen Auftritt von Bill Cosby in Portland«, teilte sie Norris mit. »Sie sagte, sie würde hier bleiben, aber ich habe sie praktisch zur Tür hinausgescheucht. Wie oft kommt Bill Cosby schließlich nach Maine?«
Wie oft beschließen zwei Frauen, sich gegenseitig in Stücke zu hauen – wegen eines Hundes, der wahrscheinlich aus dem Tierheim von Castle County stammt? dachte Norris, aber er sprach es nicht aus. »Nicht sehr oft, nehme ich an.«
»Kaum jemals.« Sandy seufzte tief. »Aber um Ihnen ein Geheimnis zu verraten – jetzt, da alles vorbei ist, wünschte ich mir fast, ich hätte ja gesagt, als Sheila sich erbot, zu bleiben. Es war ein derart verrückter Abend – ich glaube, jeder Fernsehsender im Staat hat mindestens neunmal angerufen; bis gegen elf ging es hier zu wie in einem Kaufhaus in der Vorweihnachtszeit.«
»Nun, jetzt können Sie nach Hause gehen. Sie haben meine Erlaubnis. Haben Sie den Bastard eingeschaltet?«
Der Bastard war das Gerät,
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