In einer kleinen Stad
wollte über dem phantastischen Holzsplitter meditieren, den sie bei Needful Things gekauft hatte.
Sie war von Tag zu Tag sicherer geworden, daß der Splitter ein authentisches Wunder war, einer der kleinen, himmlischen Schätze, die Gott über die Erde ausgestreut hatte, damit die Gläubigen sie finden konnten. Ihn in der Hand zu halten war wie eine Erfrischung mit kühlem Quellwasser an einem heißen Tag. Ihn in der Hand zu halten war wie gespeist zu werden, wenn man hungrig war. Ihn in der Hand zu halten war...
War eine Ekstase.
Außerdem hatte etwas begonnen, an ihr zu nagen. Sie hatte den Splitter in die unterste Schublade ihrer Schlafzimmerkommode gelegt, unter ihre Wäsche, und sie hatte das Haus sorgfältig abgeschlossen, als sie wegging, aber sie hatte das entsetzliche, nagende Gefühl, daß jemand einbrechen und
( die heilige Reliquie)
den Splitter stehlen könnte. Sie wußte, daß das ziemlich unvernünftig war – welcher Einbrecher würde schon ein Stückchen altes, graues Holz stehlen, selbst wenn er es fand? Aber wenn der Einbrecher es zufällig berührte - wenn diese Laute und Bilder seinen Kopf erfüllten, wie sie ihren jedesmal erfüllt hatten, wenn sie die Augen schloß und den Splitter in ihrer kleinen Faust hielt – ja, dann...
Also würde sie nach Hause fahren, Shorts und ein rückenfreies Top anziehen und eine Stunde oder länger in
(Verzückung)
stiller Meditation verbringen, spüren, wie sich der Fußboden unter ihr in ein Deck verwandelte, das langsam aufund abschwankte, dem Muhen und Meckern und Blöken der Tiere lauschen, das Licht einer anderen Sonne spüren, und auf den magischen Moment warten – sie war sicher, daß er kommen würde, wenn sie den Splitter lange genug in der Hand hielt, wenn sie sich ganz, ganz still verhielt und ganz, ganz fromm -, in dem der Bug des riesigen, schwerfälligen Schiffes mit einem dumpfen, mahlenden Geräusch auf dem Berggipfel zur Ruhe kam. Sie wußte nicht, weshalb Gott es für angemessen gehalten hatte, unter allen Gläubigen der Welt gerade sie mit diesem hellen und strahlenden Wunder zu segnen, aber da er es getan hatte, gedachte Sally, es so vollständig und umfassend wie möglich zu erfahren.
Sie ging zur Seitentür hinaus und überquerte den Schulhof auf dem Weg zum Lehrerparkplatz, eine hochgewachsene, hübsche junge Frau mit dunkelblondem Haar und langen Beinen. Über diese Beine wurde im Barbiersalon eine Menge geredet, wenn Sally mit ihren vernünftig flachen Absätzen vorbeiging, gewöhnlich mit ihrer Handtasche in der einen Hand und ihrer – mit Traktaten vollgestopften – Bibel in der anderen.
»Himmel, bei dieser Frau reichen die Beine bis zum Kinn«, hatte Bobby Dugas einmal gesagt.
»Laß dir deshalb keine grauen Haare wachsen«, entgegnete Charlie Fortin. »Du wirst nie spüren, wie sie sich um deinen Arsch schlingen. Die gehört Jesus und Lester Pratt. In dieser Reihenfolge.«
Im Barbiersalon hatte es lautes Männergelächter gegeben, als Charlie diese überaus witzige Bemerkung geäußert hatte. Und draußen war Sally Ratcliffe weitergewandert auf ihrem Weg zu Reverend Roses Donnerstagabend-Bibelstunde für junge Erwachsene, unwissend, unbekümmert, sicher umhüllt von ihrer eigenen frohgemuten Reinheit und Tugendhaftigkeit.
Über Sallys Beine oder sonst etwas von Sally gab es keine Witze, wenn sich Lester Pratt gerade in The Clip Joint aufhielt (und er erschien dort zumindest alle drei Wochen einmal, um sich die Stoppeln seines Bürstenhaarschnitts schärfen zu lassen). Den meisten Leuten in der Stadt, die sich für dergleichen Dinge interessierten, war klar, daß er von Sally glaubte, sie furzte Parfum und schiss Petunien, und es empfahl sich nicht, über so etwas mit einem Mann zu diskutieren, der gebaut war wie Lester. Er war im Grunde ein umgänglicher Mann, aber was Gott undd Sally Ratcliffe anging, verstand er keinen Spaß. Ein Mann wie Lester konnte einem die Arme und die Beine abreißen, bevor er sie, wenn er wollte, auf neue und interessante Art wieder ansetzte.
Er und Sally hatten ein paar ziemlich heiße Sitzungen gehabt, aber sie waren nie bis zum Letzten gegangen. Gewöhnlich kehrte Lester nach diesen Sitzungen in einem Zustand totaler Verwirrung nach Hause zurück, mit einem vor Glück brennenden Gehirn und vor frustrierter Erregung brennenden Hoden, und träumte von der jetzt nicht mehr fernen Nacht, in der er seine Selbstbeherrschung vergessen würde. Manchmal fragte er sich, ob er sie, wenn er es zum
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