Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
bitte, nicht jetzt gleich.«
    »Doch, jetzt gleich. Sie haben es versprochen, und Sie werden Ihr Versprechen halten. Wenn nicht, wird es Ihnen sehr leid tun, Myra.«
    Dann hatte sie ein sprödes Krachen gehört. Sie schaute herunter und sah mit Entsetzen, daß das Glas über dem Foto von The King einen Sprung hatte.
    »Nein!« schrie sie. » Nein , tun Sie das nicht! «
    »Nicht ich bin es, der das tut«, hatte Mr. Gaunt mit einem Auflachen erwidert. » Sie tun es. Sie tun es, weil Sie ein albernes, faules Weibsbild sind. Dies ist Amerika, Myra, wo nur die Huren ihre Geschäfte im Bett erledigen. In Amerika müssen anständige Leute aufstehen und sich die Dinge verdienen , die sie brauchen, oder sie ein für allemal verlieren. Ich glaube, das haben Sie vergessen. Natürlich kann ich jederzeit jemand anderen finden, der Mr. Beaufort diesen kleinen Streich spielt, aber was Ihre wundervolle affaire du cœur mit The King angeht...«
    Ein weiterer Sprung fuhr wie ein silberner Blitz quer durch das Glas über dem Foto. Und das Gesicht darunter wurde, wie sie mit wachsendem Entsetzen feststellte, alt und runzlig und verfärbte sich rötlich, sobald die verderbliche Luft eindringen und darauf einwirken konnte.
    » Nein! Ich tue es! Ich tue es gleich jetzt! Sehen Sie, ich stehe sofort auf! Aber machen Sie, daß es aufhört! MACHEN SIE, DASS ES AUFHÖRT! «
    Myra war auf den Fußboden gesprungen mit der Hast einer Frau, die gerade entdeckt hat, daß sie das Bett mit einem Nest voller Skorpione geteilt hat.
    »Wenn Sie Ihr Versprechen einlösen«, sagte Mr. Gaunt. Jetzt sprach er aus irgendeiner tiefen Senke in ihrem Kopf heraus. »Sie wissen, was Sie zu tun haben, nicht wahr?«
    »Ja, ich weiß es.« Myra betrachtete verzweifelt das Foto – das Bild eines alten, kranken Mannes, das Gesicht aufgeschwemmt von Jahren voller Ausschweifungen und Schwelgereien. Die Hand, die das Mikrofon hielt, war die Klaue eines Geiers.
    »Wenn Sie Ihren Auftrag erledigt haben«, sagte Mr. Gaunt, »wird das Foto wieder in Ordnung sein. Aber passen Sie gut auf, daß niemand Sie sieht, Myra. Wenn irgendjemand Sie sieht, dann sehen Sie ihn nie wieder.«
    »Ich passe auf!« stammelte sie. »Ich schwöre es – ich passe auf!«
    Und jetzt, da sie Henry Beauforts Haus erreichte, erinnerte sie sich an diese Ermahnung. Sie schaute sich um, vergewisserte sich, daß niemand die Straße entlangkam. Sie war völlig menschenleer. Auf einem abgeernteten Oktober-Feld schrie schläfrig eine Krähe. Andere Geräusche waren nicht zu hören. Der Tag schien zu pulsieren, als wäre er lebendig, und das Land lag betäubt unter dem langsamen Klopfen einer Hitze, die nicht der Jahreszeit entsprach.
    Myra ging die Auffahrt hinauf, griff unter das blaue Hemd, vergewisserte sich, daß die Scheide und das darin steckende Bajonett noch da waren. Schweiß rann tröpfelnd und juckend an ihrer Wirbelsäule entlang und unter ihren Büstenhalter. Obwohl sie es nicht wußte und es, wenn man es ihr gesagt hätte, auch nicht geglaubt hätte, war sie in der ländlichen Stille für kurze Zeit schön. Ihr nichtssagendes, gedankenloses Gesicht hatte, zumindest in diesem Augenblick, eine Zielstrebigkeit und Entschlossenheit angenommen, die nie zuvor dagewesen war. Ihre Wangenknochen zeichneten sich deutlich ab – zum erstenmal seit der High School, in der sie zu dem Entschluß gelangt war, daß ihre Lebensaufgabe darin bestand, sämtliche Yodels und Ding-Dongs und Hoodsie Rockets der Welt zu essen. In den letzten vier oder fünf Tagen war sie viel zu sehr beschäftigt gewesen, immer ausgefalleneren Sex mit The King zu haben, um viel an Essen zu denken. Ihr Haar, das ihr normalerweise glatt und schlaff ums Gesicht hing, war zu einem festen kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden und ließ ihre Stirn frei. Der größte Teil der Pickel, die, seit sie zwölf Jahre alt gewesen war, ständig aus ihrem Gesicht hervorgebrochen waren wie ungemütliche Vulkane, heilte ab – vielleicht geschockt von der plötzlichen Überdosis an Hormonen und der ebenso plötzlichen Reduzierung des Zuckerkonsums nach Jahren voll täglicher Überdosen. Noch bemerkenswerter waren ihre Augen – weit geöffnet, blau, fast wild. Das waren nicht die Augen von Myra Evans, sondern die irgendeines Dschungeltieres, das jeden Moment bösartig werden konnte.
    Sie erreichte Henrys Wagen. Jetzt kam etwas die Route 117 entlang – ein alter, klappriger Farmlaster auf dem Weg in die Stadt. Myra lief um den Thunderbird herum und

Weitere Kostenlose Bücher